Pete Doherty hat turbulente Zeiten hinter sich. Viele Jahre glaubte niemand - wohl nicht einmal er selbst - dass er die 40 überhaupt erreichen würde. Inzwischen ist der Brite sogar schon 46 Jahre alt, hat den Drogen abgeschworen und sich mit Frau, Kind und zwei Hunden in die Normandie zurückgezogen, wo er gerne leckeren Käse und guten Wein genießt. Und wo er weiterhin Musik macht. Ein Jahr nach dem vierten Album seiner Band The Libertines erscheint mit "Felt Better Alive" nun sein fünftes Soloalbum, das er vor dessen Release unter anderem in Köln und Berlin live präsentierte.
Wenige Stunden vor seinem Gig im Huxleys sprach Pete Doherty mit ntv.de nicht nur über seine neue Musik, sondern auch über sein Leben als Familienvater in Frankreich und warum er trotz aller Widrigkeiten optimistisch in die Zukunft blickt.
Der Albumtitel "Felt Better Alive" klingt sehr optimistisch und suggeriert ein Gefühl der Befreiung. Ist es dein persönlichstes Album bisher? Oder gilt das sowieso immer für jedes neue Album eines Künstlers?
Pete Doherty: Ich glaube nicht. Die meisten meiner Alben sind sehr persönlich. In der Nacht, als ich den Song "Felt Better Alive" schrieb, habe ich tatsächlich auch einen anderen Song namens "Felt Better Dead" geschrieben, aber den habe ich noch niemandem vorgespielt, weil er nicht besonders gut ist. Mein Manager und das ganze Team mögen das positive Gefühl von "Felt Better Alive". Nach Jahren, in denen sie durch die Dunkelheit navigieren mussten, ist es eine schöne Abwechslung für sie, dass jetzt helleres Sonnenlicht da ist.
Was hat dich überhaupt dazu motiviert, ein weiteres Soloalbum zu machen?
Die Songs kamen in einem ziemlich kurzen Zeitraum zu mir. Es war unerwartet, weil es eine sowieso schon ereignisreiche Zeit in meinem Leben war. Meine Frau bekam ein Baby, und ich schrieb mit Carl, meinem Partner bei The Libertines, Songs für das Libertines-Album. In den wenigen Momenten, die ich allein zu Hause hatte, nachdem das Baby geboren wurde, schrieb ich all diese Songs. Es sind wirklich starke Stücke. Ich nahm sie mit ins Studio, aber für Carl passten sie nicht wirklich zum Band-Projekt. Für ihn ist The Libertines eine Songwriting-Partnerschaft, und er wollte nicht einfach fertige Songs übernehmen, die sehr persönlich und eben meine waren.
Nachvollziehbar ...
Klar. Also traf ich Mike Moore, den Produzenten aus Liverpool, der dieses Album produziert hat. Er nahm all diese Songs, machte Streicherarrangements und half mir, einige von ihnen fertigzustellen. Als das Libertines-Album fertig und veröffentlicht war, war auch das Solo-Album fertig, und ich wollte es ebenfalls direkt veröffentlichen. Nicht etwa, weil es besser, sondern weil es anders ist. Aber mein Management entschied, dass es aus kommerziellen Gründen keine gute Idee sei, beide Alben gleichzeitig zu releasen. Also haben wir gewartet ... und gewartet ...
Und warten ist natürlich genau dein Ding ...
Ich hasse es! Besonders bei neuen Songs. Ich will sie einfach rausbringen. Deshalb habe ich in der Vergangenheit immer schon Sachen kostenlos online gestellt. Aber mein Manager würde das definitiv nicht zulassen. Er denkt, dieses Album könnte auf Platz eins gehen. Wir werden viel Promo machen, In-Store-Shows veranstalten - du weißt schon, diese Shows, bei denen man nur reinkommt, wenn man eine Kopie der Platte kauft. Ich glaube, ich könnte mit diesem Album in die Top Ten in Großbritannien kommen. (lacht)
Hat das Vaterwerden dein Songwriting verändert oder die Dinge, über die du schreibst?
Nicht so sehr, ernsthaft. Aber ich habe jetzt einfach weniger Zeit. Darum geht es in "Pot Of Gold" - da heißt es: "Bitte weine nicht, ich versuche einen Song zu schreiben." Ich kann meine Augen nicht mehr schließen und singen. Ich muss die ganze Zeit wachsam sein, weil meine Tochter da ist.
Wie hat sich das Touren mit Hunden und einem Kind verändert im Vergleich zu früher?
Es ist ein himmelweiter Unterschied. Jetzt schlafe ich mehr! (lacht) Es ist erstaunlich zu sehen, wie ein kleines Mädchen in dieser Umgebung aufwächst. Für sie sind all die Instrumente und Backstage-Bereiche ihre natürliche Umgebung. Für mich war mit 17, 18 die Vorstellung, zu einem Konzert zu gehen oder hinter der Bühne zu sein, so aufregend.
Würdest du ihr empfehlen, eines Tages selbst Musikerin zu werden?
Tief in meinem Herzen würde ich mir wünschen, dass sie das will. Aber man kann Kindern nichts vorschreiben, oder? Man weiß es einfach nie. Entweder ist es in ihnen oder nicht. Alles steht ihr offen, wenn sie es will. Es ist ihre Welt, die sie übernehmen kann. Aber vielleicht hat sie überhaupt kein Interesse an Musik. Sie scheint in diese Richtung zu gehen. Sie ist noch nicht einmal zwei, aber sie geht schon auf die Bühne, tanzt während der Shows und schlägt die Drums. Aber alle Kinder machen das gerne. Es ist unmöglich zu wissen, was sie einmal werden möchte.
Machst du dir Sorgen hinsichtlich der Zukunft der Musikindustrie eigentlich Gedanken über KI?
Nein, darüber mache ich mir keine Sorgen. Man kann die menschliche Seele niemals ersetzen. Menschen werden immer zusammen Musik machen wollen. All diese Popbands mit Autotuning und Drumcomputern gibt es schon seit Jahrzehnten. Was mich mehr beunruhigt, ist das Streaming - das nimmt den Leuten praktisch das Essen aus dem Mund.
Aber es ist auch eine Chance für junge Künstler, ein größeres Publikum zu erreichen ...
Absolut. Aber man muss auf Tour gehen, um als Musiker Geld zu verdienen. Mehr als früher.
Du lebst jetzt in Frankreich und führst ein völlig anderes Leben als früher.
Um ehrlich zu sein, die Art, wie ich in meinen 20ern und 30ern gelebt habe - ich glaube nicht, dass ich körperlich in der Lage gewesen wäre, das durchzuhalten. Mein Körper könnte das heute nicht mehr aushalten. Ich habe Glück, überhaupt noch am Leben zu sein. Ich kann nicht dorthin zurückkehren, ich kann mir nicht vorstellen, zurückzugehen. Ich kann nicht mehr zurück ins alte Leben.
Vermisst du es manchmal? Den Rausch, die durchzechten Nächte ...
Natürlich vermisse ich es. Ich habe es früher für mich selbst so romantisiert. Es war mehr als nur die körperliche Wirkung - es war das Ganze, die Utensilien, die Gerüche, das Leben. Die verrückten Abenteuer. Aber dann gibt es natürlich auch das Gefängnis, den Tod und das verdammte Geld. Es gab einen Grund, warum ich es getan habe, und dieser Grund wird nie verschwinden. Aber man lebt damit.
Inzwischen hast du dein Leben um 180 Grad gedreht ...
Ja, aber der Grund dafür ist Billy May, meine Tochter. Das ist es, weshalb ich wirklich nicht zurückgehen kann, weil sie sie mir sonst wegnehmen würden. Ich dürfte sie nicht mehr sehen. Man kann nicht so leben - Crack rauchen und Heroin nehmen mit einem Baby und Hunden um sich herum. Für die Hunde war es schon schlimm genug, denn sie haben es gehasst.
Wenn du auf Solo-Tour bist, ist das anders als mit The Libertines oder einst Babyshambles? Du triffst doch jetzt vermutlich alle Entscheidungen selbst?
Ja, vollständig. Es ist ein sehr entspannendes Gefühl. Wenn es mir nicht gefällt, passiert es nicht. Eine gütige Diktatur sozusagen. Aber ich treffe Entscheidungen in enger Absprache mit den Leuten, mit denen ich arbeite.
Du widmest dich auch der Malerei. Was bedeutet diese Art von Kunst für dich im Vergleich zur Musik?
Musik ist eine Performance. Wir haben das Album aufgenommen, aber ich höre es mir nicht an, es sei denn, ich muss mich auf eine Show vorbereiten. Es ist etwas Ätherisches, das kommt und geht - in die Ohren der Menschen und hoffentlich in ihre Herzen und Köpfe. Die Collagen und Gemälde hingegen sind etwas sehr Physisches. Sie sind da, sie nehmen Raum ein. Tatsächlich habe ich mittlerweile eine echte Lagerkrise. Meine Schwiegermutter hat die Nase voll von all diesen Papieren überall im Haus. Aber die Songs - sie sind einfach frei, einfach draußen.
In Interviews hast du die politische Situation in Großbritannien und Europa als chaotisch beschrieben. Was gibt dir Hoffnung in diesen Tagen?
Kleine, schrittweise Veränderungen. Ich denke, dass der Machtverlust der britischen Konservativen Partei das Wichtigste war, damit Labour an die Macht kommen konnte. Auch wenn Labour keine traditionelle linke Partei mehr ist, steht sie immer noch knapp links von den Konservativen. Ich hoffe - vielleicht ist das naiv und optimistisch von mir -, dass wir über einen längeren Zeitraum nach links driften können. Dass wir der Öffentlichkeit das Wasser und den Strom zurückgeben können, denn diese Ressourcen sollten allen gehören. Ich bin optimistisch, weil ich so viele Menschen treffe, die für mich auf der richtigen Seite stehen. Das gibt mir Hoffnung. Wir haben den Kampf noch nicht verloren, er ist immer noch da, es gibt noch etwas zu gewinnen. Die Menschen müssen sich einfach genug darum kümmern.
Mit Pete Doherty sprach Nicole Ankelmann
Das Album "Felt Better Alive" ist ab dem 16. Mai überall erhältlich.