Tausende Staudämme verschieben Pole der Erde

Eine neue Studie zeigt, dass der Bau tausender Staudämme in den vergangenen 200 Jahren die geografischen Pole der Erde verschoben hat. Laut dem Forscherteam droht deshalb zwar keine neue Eiszeit - allerdings könnte es Folgen für den Anstieg des Meeresspiegels haben.

Nicht nur das Klima und der Meeresspiegel werden durch das Tun des Menschen beeinflusst - offenbar werden auch die Pole verschoben. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forscherteam aus den USA in einer aktuellen Studie. Demnach hat der Mensch in den letzten zwei Jahrhunderten so viel Wasser in Staudämmen gespeichert, dass sich die Pole der Erde leicht von der Rotationsachse des Planeten weg bewegt haben.

Wie kann das funktionieren? Die äußerste feste Schicht der Erde schwimmt förmlich auf zähflüssigem geschmolzenem Gestein. Sie kann sich daher relativ zum darunter liegenden Magma bewegen. Immer wenn sich die Masse auf der Oberfläche des Planeten neu verteilt, beispielsweise wenn Eisschilde wachsen oder schrumpfen, gerät diese äußerste Gesteinsschicht ins Ungleichgewicht und bewegt sich. Die geografischen Pole passieren dann andere Stellen auf der Oberfläche als zuvor, ein Prozess, der als echte Polwanderung bezeichnet wird.

Etwa einen Meter verschoben

Aber laut der Studie waren es keine wachsenden Eisschilde (die zuletzt vor allem schmelzen), sondern der Bau von fast 7000 Dämmen zwischen 1835 und 2011, der die Pole um insgesamt etwa einen Meter verschoben und einen Anstieg des globalen Meeresspiegels um 21 Millimeter verursacht hat. Zum Vergleich: Zusammen fassen diese Dämme genug Wasser, um den Grand Canyon zweimal zu füllen. Die Studie ist in der Fachzeitschrift "Geophysical Research Letters" erschienen.

Die Polverschiebung sei zwar gering, betonen die Autoren. Sie könne jedoch helfen zu verstehen, wie sich die Pole verschieben werden, wenn große Gletscher und Eisschilde aufgrund des Klimawandels schmelzen.

"Wenn wir Wasser hinter Dämmen stauen, wird nicht nur Wasser aus den Ozeanen entzogen, was zu einem globalen Absinken des Meeresspiegels führt, sondern es verteilt sich auch anders auf der Erde", sagte Natasha Valencic, Doktorandin in Erd- und Planetenwissenschaften an der Harvard University und Hauptautorin der neuen Studie laut einer Mitteilung. "Wir werden nicht in eine neue Eiszeit stürzen, weil sich der Pol insgesamt um etwa einen Meter verschoben hat, aber es hat Auswirkungen auf den Meeresspiegel."

Zwei Phasen des Dammbaus

In der neuen Studie zeigen Valencic und ihre Kollegen, dass der weltweite Dammbau die Erdpole in zwei unterschiedlichen Phasen verschoben hat. Von 1835 bis 1954 wurden viele Dämme in Nordamerika und Europa gebaut, wodurch sich diese Gebiete in Richtung Äquator verschoben haben. Der Nordpol verschob sich um 20,5 Zentimeter in Richtung des östlichen 103. Längengrads, der durch Russland, die Mongolei, China und die Indochinesische Halbinsel verläuft.

Von 1954 bis 2011 wurden dann in Asien und Ostafrika Dämme gebaut, heute liegen vier der fünf größten Stauseen in Afrika. Der mit Abstand größte ist das in den 1950er Jahren entstandene Victoria Reservoir im Dreiländereck Tansania, Uganda, Kenia. Dadurch verschob sich der Pol um 57 Zentimeter in Richtung des 117. westlichen Längengrads, der durch den Westen Nordamerikas und den Südpazifik verläuft. Im gesamten Zeitraum von 1835 bis 2011 verschoben sich die Pole um etwa 113 Zentimeter, wobei etwa 104 Zentimeter davon im 20. Jahrhundert zurückgelegt wurden.

Die Ergebnisse zeigen, dass Forscher bei der Berechnung des zukünftigen Meeresspiegelanstiegs die Wasserrückhaltung berücksichtigen müssen. Im 20. Jahrhundert stieg der globale Meeresspiegel um durchschnittlich 1,2 Millimeter pro Jahr, aber die Menschen hielten ein Viertel dieser Menge hinter Dämmen zurück - ein bedeutender Anteil, so Valencic. Und der Meeresspiegelanstieg erfolgt nicht gleichmäßig rund um den Globus.