Hilft Rosmarin gegen Haarausfall?

Kahle Stellen, Geheimratsecken und eine immer höher werdende Stirn: Haarausfall nagt oft am Selbstbewusstsein. Auf Social Media wird ein vermeintliches Wundermittel gepriesen: Rosmarin. Ob als Öl oder Wasser - die Pflanze soll einem wieder zur vollen Haarpracht verhelfen. Doch was ist dran an dem Trend?

Wenn der Haaransatz langsam nach hinten wandert, die Geheimratsecken immer größer und der Scheitel immer lichter wird, ist die Diagnose oft eindeutig: erblich bedingter Haarausfall. Die sogenannte androgenetische Alopezie betrifft bis zu 80 Prozent der Männer und etwa 40 Prozent der Frauen im Laufe ihres Lebens. Der Leidensdruck bei Betroffenen ist meist hoch, schließlich kratzt das Schwinden der Haarpracht massiv am Selbstbewusstsein. Kein Wunder also, dass man im Internet unzählige Tipps und Tricks findet, die Abhilfe versprechen - einer davon: Rosmarin.

Vor allem auf Tiktok und Instagram schwören aktuell viele, vor allem junge Influencerinnen auf Rosmarinöl oder Rosmarinwasser für volleres Haar. Es werden Haarpflegeroutinen geteilt: Öl ins Haar einmassieren, anschließend regulär mit Shampoo waschen. Oder Rosmarinwasser selbst aus frischen Kräutern herstellen und auf die Haare sprühen. So oder so, das Ergebnis ist angeblich immer überragend. "Ihr sprüht das so ein, zwei Tage drauf und schon am dritten Tag merkt ihr, dass eure Haare beim Kämmen nicht mehr so viel rausfallen, das ist richtig krass", erzählt eine junge Frau in einem Tiktok-Video. Doch stimmt das auch? Hilft Rosmarin tatsächlich gegen Haarausfall?

Ganz eindeutig lässt sich diese Frage nicht beantworten. "Es gibt Hinweise darauf, dass Rosmarinöl tatsächlich eine wachstumsfördernde Wirkung auf Haare haben kann", sagt Dermatologin Alice Martin ntv.de. Dabei bezieht sich die Haar-Expertin auf eine Vergleichsstudie von 2015. Jeweils 50 Teilnehmer in zwei Gruppen hatten Rosmarin und den medizinischen Wirkstoff Minoxidil für sechs Monate getestet. Überraschenderweise konnten anschließend in beiden Gruppen positive Effekte auf Haarzahl und -dichte beobachtet werden. Rosmarinöl hatte dabei sogar einen entscheidenden Vorteil: Die Teilnehmer berichteten seltener von einer juckenden Kopfhaut.

Die erste Wahl bei Haarausfall

Die Ergebnisse sehen auf den ersten Blick vielversprechend aus, aber Dermatologin Martin sieht sie kritisch. Die Teilnehmerzahl der Studie sei mit 100 relativ klein gewesen, außerdem hätte die Untersuchung methodische Schwächen. "Somit ist die Studie zwar interessant, aber aus wissenschaftlicher Sicht nicht ausreichend, um Rosmarinöl als gleichwertige Alternative zu Minoxidil zu klassifizieren", sagt die Expertin. Weitere, größere und besser kontrollierte Studien seien notwendig.

Eine sicherere Methode bei erblich bedingtem Haarausfall ist laut Martin der bereits angesprochene Wirkstoff Minoxidil. "Aus ärztlicher Sicht ist diese Therapie die erste Wahl - sowohl bei Männern als auch bei Frauen", so die Medizinerin. Minoxidil verlängert die Wachstumsphase der Haare und verbessert die Durchblutung der Haarfollikel. Studien zeigen, dass bei regelmäßiger Anwendung nach drei bis sechs Monaten eine signifikante Verbesserung der Haardichte zu erwarten ist.

Wie jedes Mittel hat auch Minoxidil einige - meist leichte - Nebenwirkungen. Die häufigsten sind Hautirritationen, Juckreiz, Rötungen oder Schuppenbildung an der Anwendungsstelle. Zudem muss Minoxidil kontinuierlich angewendet werden, um die Ergebnisse aufrechtzuerhalten. "Wichtig ist, dass Patienten verstehen, dass die Wirkung nur bei konsequenter und dauerhafter Anwendung erhalten bleibt", sagt Martin. "Wird das Präparat abgesetzt, kommt es meist innerhalb weniger Monate zum Rückfall."

Für Männer gibt es der Dermatologin zufolge noch eine weitere Alternative: Finasterid. Dieser Wirkstoff blockiert die Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron (DHT). DTH ist ein Abbauprodukt des männlichen Hormons Testosteron - und maßgeblich für erblich bedingten Haarausfall verantwortlich. Das Hormon bindet sich bei Betroffenen an die Haarfollikel und hemmt deren Wachstum. Finasterid verhindert die Bildung von DHT und ist daher laut Martin äußerst wirksam. Allerdings ist das Medikament nicht für Frauen zugelassen, da es in der Schwangerschaft potenziell schädlich sein kann.

Alles in allem seien sowohl Minoxidil als auch Finasterid im Gegensatz zu Rosmarinöl gut untersucht, weitverbreitet und einfach in der Anwendung, sagt die Expertin. Beide Präparate empfiehlt sie in ihrer digitalen Hausarztpraxis als Behandlung.

Eher Pflegeprodukt als medizinisches Mittel

Sollte man Rosmarinöl also lieber aus seiner Haarpflegeroutine verbannen? Nicht unbedingt, sagt Martin. "Für Patientinnen und Patienten, die eine natürliche oder nebenwirkungsärmere Alternative suchen - oder in Schwangerschaft beziehungsweise Stillzeit keine andere Option haben - kann Rosmarinöl eine Maßnahme sein", sagt die Dermatologin. Die Wirkung sei jedoch individuell und nicht zuverlässig vorhersagbar.

Eins scheint aber sicher: Rosmarin auf der Kopfhaut schadet zumindest nicht - im Gegenteil. Eine Studie, die 2020 im "Iranian Journal of Basic Medical Sciences" erschienen ist, stellte fest, dass Rosmarinöl "entzündungshemmende und antioxidative [...] Eigenschaften" besitze. Der Studie zufolge kann Rosmarin Schuppen, Reizungen und Juckreiz auf der Haut reduzieren. Selbst wenn das Kraut nicht die Haare wie erhofft sprießen lassen sollte, pflegt es demnach immerhin die Kopfhaut.

Übrigens: Reiswasser ist laut Social Media ein weiterer angeblich heißer Tipp für Haarwachstum. Gemeint ist das leicht trübe, stärkehaltige Wasser, das entsteht, wenn man Reis darin wäscht, kocht oder längere Zeit dort einlegt. Doch mehrere Dermatologen schreiben im "Journal of Cosmetic Dermatology", dass die Belege für den Nutzen von Reiswasser eher noch spärlicher seien als beispielsweise bei Rosmarinöl. "Reiswasser mag die Haarstruktur kurzfristig stärken oder glätten, aber auf die Haarwurzel und den Haarzyklus hat es nach aktuellem Stand keinen gesicherten therapeutischen Einfluss", sagt auch Martin. "Ich würde es daher eher als kosmetisches Pflegeprodukt einordnen - nicht als medizinische Maßnahme zur Behandlung."