In den USA sterben jährlich 1000 Menschen durch Polizeischüsse. Die meisten Getöteten werden dabei mehrfach von Kugeln getroffen - im Schnitt sogar sechsmal, zeigt eine neue Studie. Damit verringert sich die Chance der Opfer, zu überleben.
In den USA stehen Fälle von Polizeigewalt regelmäßig im Fokus der Öffentlichkeit. Trotz Protesten und Reformversuchen bleibt die Zahl der durch Polizeischüsse getöteten Personen auf einem konstant hohen Niveau. Um das Phänomen besser zu verstehen, richtete ein Forscherteam aus den USA den Fokus auf einen aus ihrer Sicht wichtigen Aspekt bei den Zwischenfällen: die Anzahl der Schüsse, welche die Opfer trafen.
"Es gibt vereinzelte Hinweise darauf, dass Polizisten offenbar darauf aus sind, Personen zu töten, die sich ihrer Festnahme widersetzen", sagte Erstautor Vageesh Jain von der Harvard T.H. Chan School of Public Health laut einer Mitteilung. "Wir wollten die vorhandenen Daten optimal nutzen, indem wir nicht nur untersuchten, ob jemand erschossen wurde, sondern auch die Anzahl der Schussverletzungen hinzuziehen, um die Tödlichkeit bei Schüssen durch die Polizei zu ermitteln." Laut Jain steigt das Risiko eines tödlichen Ausgangs, je mehr Schüsse ein Opfer treffen.
80 Prozent der Opfer mehrfach getroffen
Das Team um Jain und seinen Kollegen David Hemenway fand heraus, dass Personen, die durch Polizeischüsse starben, im Durchschnitt sechs Schusswunden aufwiesen. Rund 80 Prozent der Opfer wurden demnach mehrfach getroffen. Zum Vergleich: Mordopfer, die von Zivilisten erschossen wurden, erlitten im Schnitt vier Schusswunden. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift "American Journal of Preventive Medicine" veröffentlicht.
Die Forschenden stießen auch auf starke regionale Unterschiede bei den tödlichen Zwischenfällen mit der Polizei: Im Westen der USA war das Risiko, durch Polizeischüsse getötet zu werden, nach den vorliegenden Daten rund viermal so hoch wie im Nordosten. Erklärt werden könne dies zum Teil mit unterschiedlichen Praktiken der Polizeiarbeit, so die Autoren. Aber auch die teils höheren Kriminalitätsraten und andere soziodemografische Faktoren in bestimmten Regionen könnten eine Rolle spielen.
Junge Männer besonders betroffen
Darüber hinaus zeigt die Studie eine starke Ungleichverteilung nach Ethnien: Schwarze, hispanische sowie indigene US-Amerikaner und -Amerikanerinnen wiesen mehr als doppelt so hohe Raten polizeilicher Tötungen auf wie weiße. Ein ähnliches Gefälle zeigte sich bei den Altersgruppen: Die höchste Rate lag bei den 25- bis 34-Jährigen mit 5,89 Todesfällen pro einer Million Bewohner. Auch das Geschlecht spielt eine wesentliche Rolle – Männer sind mit einer 26-mal höheren Wahrscheinlichkeit betroffen als Frauen.
In rund drei Vierteln der Fälle trugen die Opfer selbst eine Waffe bei sich. Allerdings fand das Forscherteam auch hierbei leichte Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen: Schwarze Opfer waren mit etwa 69 Prozent etwas seltener bewaffnet als weiße Opfer mit 78 Prozent.
Zahl der Schüsse gerechtfertigt?
Wissenschaftler Jain betonte jedoch, dass weitere Untersuchungen erforderlich seien, um zu verstehen, "ob die hohe Zahl der von der Polizei abgegebenen Schüsse gerechtfertigt ist und warum es Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen gibt". Um die Ungleichheit bei dem Risiko von Polizeieinsätzen zu beseitigen, müsse versucht werden, derartige Zwischenfälle zu verhindern oder anders zu handhaben.
In den USA kommt es jährlich zu etwa 1000 Todesfällen durch Polizeischüsse. Zwischen 2005 und 2019 wurden in diesem Zusammenhang vier Polizeibeamte wegen Mordes und 18 wegen Totschlags verurteilt.