Erstmals seit Bildung der neuen Bundesregierung muss diese dem Bundestag Rede und Antwort stehen. Gleich zu Beginn geht es hoch her: Grüne und Linke sind überzeugt, die neuen Grenzkontrollen seien nicht rechtens - und praktisch nicht durchzuhalten. Zwei neue Bundesminister widersprechen.
An Tag eins seiner Regierung werde es eine neue Migrationspolitik zur Reduzierung der Zuwanderungszahlen geben, hatte Bundeskanzler Friedrich Merz versprochen. Zumindest noch in ihren ersten Tagen setzte sich die schwarz-rote Bundesregierung in Bewegung: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt von der CSU erließ entsprechende Weisungen, deren Einordnung jedoch hochumstritten ist.
In der ersten Regierungsbefragung dieser Legislaturperiode mussten Vizekanzler und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil sowie Kanzleramtschef Thorsten Frei sich entsprechend scharfen Fragen stellen. Dabei ging es sowohl um die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen als auch um die Folgen für die Beschäftigten der Bundespolizei, die nun Sonderschichten an den deutschen Außengrenzen schieben.
"Derzeit sind etwa 3000 Bundespolizistinnen und Bundespolizisten zusätzlich für die Aufgabe abgestellt", sagte CDU-Politiker Frei. Das bedeute eine "enorme Belastungsprobe" für die Beamten. Grünen-Politiker Konstantin von Notz hielt Frei vor: "Das Ganze ist ein Strohfeuer. Sie halten es maximal drei, vier Wochen durch." Auf von Notz' Frage, ob durch den Abzug der Polizei von Bahnhöfen und Flughäfen nicht "krasse Probleme" entstünden, ging der Kanzleramtsminister nicht ein, stimmte aber zu: "Das wird man nicht in alle Ewigkeit fortsetzen können." Wie lange die Maßnahmen durchzuhalten wären, blieb offen.
Wiederholt fragten Abgeordnete nach der rechtlichen Grundlage von Zurückweisungen auch von Schutzsuchenden. Nach EU-Recht müssen Asylgesuche immer geprüft werden. Die neue Bundesregierung beruft sich hingegen auf das Recht, Menschen ohne Aufenthaltsrecht nach Paragraf 18 des Asylgesetzes an der Grenze abweisen zu können. Denn: Wer über die Landgrenzen nach Deutschland komme, hätte schon in den zuvor passierten EU-Staaten sein Asylgesuch stellen können und müssen. So sehen es die Dublin-Regeln der EU vor.
"Wir haben zu viel ungesteuerte Migration zugelassen", sagte Kanzler Merz in seiner an die Befragung von Frei und Klingbeil anschließenden ersten Regierungserklärung. "Wir ordnen Migration mit mehr Begrenzung, mehr Zurückweisungen, mehr Steuerung, mehr Rückführungen. Wir machen dabei keinen nationalen Alleingang, im Gegenteil: Wir befinden uns im Einklang mit europäischem Recht." Die neue Bundesregierung werde die europäischen Partner bei dem verstärkten Schutz der Außengrenzen unterstützen. Aus den Reihen von Linken und Grünen gab es Zwischenrufe, in denen von "Rechtsbruch" und mehr Toten im Mittelmeer die Rede war.
Deutsches oder EU-Recht: was gilt?
Clara Bünger von der Linksfraktion hingegen pochte darauf, dass diese Ausdeutung "ganz klar im Widerspruch zu EU- und Menschenrechten steht". Der Paragraf 18 werde "durch EU-Recht überlagert". Entsprechend deuteten bislang auch die Grünen - und bis zur Bundestagswahl die SPD - das Primat des EU-Rechts, das eine verpflichtende Prüfung eines jeden Asylgesuchs vorsieht. Tatsächlich ist hochumstritten, ob Deutschland Zurückweisungen ohne vorherige Einzelfallprüfung vornehmen darf. "Wir sind überzeugt, dass das im Einklang mit europäischem und internationalem Recht ist", sagte Frei.
Über das Wochenende hatten ungenaue bis widersprüchliche Angaben aus dem Bundeskanzleramt und dem Bundesinnenministerium Unklarheit gestiftet, was genau denn nun an den Außengrenzen passiert. "Die Notlage wurde nicht ausgerufen", stellte der SPD-Vorsitzende Klingbeil klar. Und: "Wir machen keine Alleingänge." Frei erklärte wiederholt, es gehe allein um die Wiederanwendung von Artikel 18 im Asylgesetz, nicht um die kursierende Ausrufung einer Notlage, die Berlin in Brüssel hätte anmelden müssen, um gar keine Menschen mehr aufnehmen zu müssen.
"Was ist denn jetzt Lage? Gibt es Grenzschließungen? Gibt es verschärfte Grenzkontrollen? Auf welcher Rechtsgrundlage soll das erfolgen? Das wissen auch die Bundespolizistinnen und -polizisten gar nicht genau", so die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann bereits am Morgen im Frühstart von ntv.
Dobrindt reist an deutsch-österreichische Grenze
"Es gibt keine Grenzschließungen, es gibt Grenzkontrollen", sagte Frei. Migration wolle die neue Bundesregierung "nicht nur ordnen und steuern, sondern wir müssen sie auch begrenzen".
Klingbeil wurde wiederholt aufgefordert, die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen zu erläutern. Der SPD-Chef aber verwies nur auf entsprechende Äußerungen von Bundeskanzler Merz sowie auf die Möglichkeit, den zuständigen Minister Dobrindt noch in der laufenden Woche im Bundestag zu befragen. Dieser will sich am Donnerstag gemeinsam mit dem Präsidenten der Bundespolizei, Dieter Romann, die Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze anschauen.
Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic kritisierte bereits am Morgen, vor Beginn der Regierungsbefragung, unklare Vorgaben an die Bundespolizei zur Ausnahme sogenannter vulnerabler Gruppen von den Zurückweisungen. Die Bundespolizistinnen und Bundespolizisten könnten "den Weisungen des Bundesinnenministeriums rechtlich nicht vertrauen", sagte Mihalic. Wer etwa zu den vulnerablen Gruppen gehöre - Kinder? Schwangere? Väter mit Kindern? -, sei unklar.
"Ich hätte mich nicht wohlgefühlt mit Weisungen, von denen ich nicht sicher bin, sind sie jetzt rechtens oder nicht", erinnerte sich Mihalic an ihre eigene Laufbahn als Polizistin. "Da macht sich die Bundesregierung einen extrem schlanken Fuß und duckt sich vor der eigentlichen Verantwortung weg auf übelste Art und Weise", äußerte Mihalic scharfe Kritik. "Alles in allem haben wir hier Chaos in Reinform."
Plötzlich schweigt die AfD
Frei widersprach Darstellungen von Fragestellern der Opposition, die Kontrollen führten zu Staus und weiteren Belastungen für Grenzpendler und den Wirtschaftsverkehr. Es handele sich um "intelligente Stichproben so wie in der Vergangenheit, nur jetzt eben verstärkt", so Frei. Diese führten "aber nicht zu unangemessenen Staus, zur Behinderung des wirtschaftlichen Austausches".
Auffällig war der Verzicht der AfD-Fraktion auf Fragen zum Thema. Sie konzentrierte sich, trotz der mit ihrer gewachsenen Fraktion einhergehenden höheren Anzahl an Fragemöglichkeiten, auf andere Themen wie Kulturpolitik und Haushaltspläne der kommenden Regierung. Die AfD fordert seit Jahren umfassende Zurückweisungen an den deutschen Außengrenzen und warf der Union im Bundestagswahlkampf vor, ihre Positionen "geklaut" zu haben. Nachdem CDU und CSU im Koalitionsvertrag tatsächlich Verschärfungen durchgesetzt und diese in Gang zu setzen begonnen haben, sucht die AfD offenbar noch nach einem neuen Umgang mit dem Thema Migration, das ihren Wählern ausweislich der Umfragen besonders wichtig ist.