Israels Armee sieht Hungersnot in Gaza kommen

Der Gazastreifen steht vor einer Hungersnot, das räumt die israelische Armee intern ein. Offiziell hält die Regierung an der Blockade fest. Die USA arbeiten derweil an einem Plan, die Versorgung der mehr als zwei Millionen Palästinenser sicherzustellen - ohne Israel.

Im Gazastreifen droht eine Hungersnot - das sagen nicht nur Hilfsorganisationen, Vertreter der Vereinten Nationen sowie des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza. Das sagen mittlerweile auch Vertreter des israelischen Militärs, wie die "New York Times" berichtet.

Die Zeitung beruft sich auf drei Vertreter der israelischen Armee, die "inoffiziell zu dem Schluss gekommen" seien, dass den mehr als zwei Millionen Palästinensern im Gazastreifen eine Hungersnot droht, wenn die Hilfslieferungen in das Gebiet nicht innerhalb weniger Wochen wieder aufgenommen werden.

Israel lässt seit dem 2. März keine Hilfslieferungen mehr in den Gazastreifen - keine Lebensmittel, keine Medizin, keinen Treibstoff. Nach israelischer Darstellung soll die Blockade verhindern, dass die Hamas Zugriff auf Hilfslieferungen erhält, die eigentlich für Zivilisten gedacht sind. Zugleich soll damit Druck auf die Terrororganisation ausgeübt werden. Im April sagte Israels rechtsradikaler Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir laut israelischer Zeitung "Haaretz", die Einstellung der humanitären Hilfe sei "eines der wichtigsten Druckmittel" gegen die Hamas. "Die Rückkehr der Hilfe nach Gaza, bevor die Hamas in die Knie geht und alle unsere Geiseln freilässt, wäre ein historischer Fehler."

23 Geiseln sollen noch am Leben sein

Tatsächlich kam es im Gazastreifen zu Protesten gegen die Herrschaft der Hamas. Das Ziel, die Geiseln zu befreien, hat die israelische Regierung allerdings weder durch die Blockade noch durch die Militäroperationen im Gazastreifen erreicht. Noch immer befinden sich 58 israelische Geiseln in der Gewalt der Terrorgruppe, darunter auch Israelis, die zugleich die deutsche Staatsbürgerschaft haben. 35 der 58 Geiseln wurden nach Angaben der israelischen Zeitung "Haaretz" für tot erklärt. Die Hamas hatte Israel am 7. Oktober 2023 überfallen und dabei den größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust verübt. 250 Menschen wurden damals aus Israel in den Gazastreifen verschleppt.

Sowohl die Blockade als auch das militärische Vorgehen der israelischen Regierung wird international immer schärfer kritisiert. In einer gemeinsamen Erklärung nannten die Außenminister von Frankreich, Großbritannien und Deutschland die Blockade Ende April "unerträglich"; zu diesem Zeitpunkt war noch Außenministerin Annalena Baerbock im Amt.

Auch ihr Nachfolger Johann Wadephul forderte bei seinem jüngsten Besuch in Israel eine Wiederaufnahme der Hilfslieferungen, auch er nannte die humanitäre Situation im Gazastreifen "unerträglich". Nach Angaben des Hamas-Gesundheitsministeriums im Gazastreifen sind infolge der Blockade mindestens 57 Menschen verhungert, wie der arabische Sender Al-Dschasira am 3. Mai berichtete.

Selbst Trump ist "offensichtlich frustriert" von Netanjahu

Der Chef des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), Philippe Lazzarini, sagte der BBC, wenn in den nächsten Wochen keine Hilfe komme, würden die Menschen im Gazastreifen "nicht wegen der Bombardierungen sterben, sondern weil es keine Nahrung gibt". Lazzarini warf Israel vor, die Blockade - und damit den Hunger - als Waffe einzusetzen. Das sei ein Kriegsverbrechen. Die Blockade werde eingesetzt, "um politische oder militärische Ziele" zu erreichen.

Selbst US-Präsident Donald Trump, der sich gern als enger Verbündeter Israels gibt, ist mit der Politik des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu erkennbar unzufrieden: Bei seiner aktuellen Nahost-Reise gibt es keinen Zwischenstopp in Israel. Trump wolle Fortschritte bei den Waffenstillstandsverhandlungen sowie eine Freilassung der Geiseln, sagte der frühere US-Botschafter in Israel, Daniel Shapiro, dem Sender CNN. "Er ist offensichtlich frustriert von Netanjahu, wie jeder andere Präsident, der mit Netanjahu zusammengearbeitet hat", so Shapiro. Die Verhandlungen mit der Hamas über die Freilassung des US-Amerikaners Edan Alexander hatte die US-Regierung geführt, ohne Israel einzubinden - obwohl Alexander Soldat der israelischen Armee ist.

Netanjahu will trotzdem "bis zum Ende" gehen

Bislang scheint Trumps Frustration bei Netanjahu allerdings keinerlei Folgen zu haben. Erst am Dienstag bekräftigte der Premier, Israel werde den Krieg keinesfalls beenden, bevor die Hamas vernichtet sei. Jeder Waffenstillstand werde daher nur zeitweilig sein. Auch eine Freilassung von Geiseln würde daran nichts ändern. "Wir können einen Waffenstillstand für einen bestimmten Zeitabschnitt machen, aber wir gehen bis zum Ende." Eine Woche zuvor hatte sein Kabinett eine Intensivierung der Offensive im Gazastreifen beschlossen.

Kurz darauf verkündete Trumps Botschafter in Israel, Mike Huckabee, dass die USA dabei seien, ein Hilfssystem für die Palästinenser im Gazastreifen aufzubauen. Dies solle weitgehend ohne israelische Beteiligung und mit Hilfe privater Sicherheitsfirmen geschehen. Huckabee sagte, Trump betrachte die Hilfe für Gaza als dringende Angelegenheit. Er und sein Team hätten die Aufgabe bekommen, alles zu tun, um "so schnell wie möglich humanitäre Hilfe zu den Menschen zu bringen".

Dem aktuellen Bericht der "New York Times" zufolge warnten Angehörige des israelischen Militärs ihre Vorgesetzten, dass sofortige Maßnahmen erforderlich seien, um eine Hungersnot zu verhindern. Den drei Quellen der Zeitung zufolge hat die Militärführung "den Ernst der Lage erkannt und prüft Möglichkeiten, die Hilfslieferungen unter Umgehung der Hamas wieder aufzunehmen", so die "Times".