Superexklusives Geheimprotokoll: So lief die Kanzler-Wahl ab

Bei der Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler ging es hoch her. Durchgefallen im ersten Wahlgang! Aufruhr im Bundestag! Dabei hatte sich die Aufführung der Merz-Vorführung angekündigt, wie ein erfundenes Geheimprotokoll der wahren Abläufe zeigt.

Was für eine Woche. Friedrich Merz durchläuft allein am Dienstag mehr emotionale Gemütsfacetten als Til Schweiger Gesichtsausdrücke hat. Pleite, Klatsche, Abgewatscht, Schockniederlage, Demütigung - nach der spektakulär verwehrten Kanzlermehrheit überschlagen sich die einschlägigen Begleitmedien in ersten ad hoc Echos mit Vokabular, das man sonst nur von Heimspiel-Rezensionen des FC Schalke 04 kennt.

Die abtrünnigen 18 Abgeordneten, die den triumphalen Durchmarsch von Merz ins Kanzleramt verhindern, verorten Union und SPD wechselseitig in der jeweils anderen Fraktion. Gleichzeitig eröffnet auf dem Redaktionsboulevard der Eitelkeiten der Theoriemarathon. Jeder Autor, Journalist und Social Media Generalexperte, dem es zuvor mal gelungen war, fehlerfrei "Haushaltsdefizit" in einem Text unterzubringen, sieht sich umgehend aufgefordert, eine Fachanalyse abzugeben. So selbstverständlich auch ich. Exklusiv für n-tv halte ich allerdings den Heiligen Gral der Kanzlerwahl-Berichterstattung in den Händen. Als einzige Medienschaffende der Republik liegt mir nämlich das unzensierte Protokoll des schon jetzt historischen 06. Mai 2025 vor. Hier ist es:

Dienstag, 06. Mai 2025, 05:33 Uhr:
Olaf Scholz wacht mit schwerer Migräne im Elternschlafzimmer des Kanzleramtes auf. Anders als der Name Zapfenstreich vermuten lässt, verlief seine Verabschiedung hochprozentig. Ungewohnt für den scheidenden Post-Merkel-Zufallskanzler, der zuletzt nur 16,4 Prozent gewohnt war. Seine Vorabend-Erinnerungen machen indes den CumEx: keine Erinnerung an irgendwas. Zum Glück ist der als Steffen Seibert der Kanzleramtssprecher bekannte Steffen Hebestreit zugegen, um den zuweilen unter selektiver Themen-Demenz leidenden Bald-Altkanzler an die heutige Krönung von Merz I. zu erinnern. Scholz zieht seinen Lieblingsanzug an. Passend zu seiner Aura ist er grau.

6:02 Uhr:
Paul Ronzheimer, der Bob Woodward des SMS-Journalismus, erinnert alle 208 Mitglieder der CDU/CSU Bundestagsfraktion per Kurznachricht aus der Ukraine daran, alle geheimen Absprachen zum Kanzler-Konklave wie immer sofort an ihn durchzustechen. Versehentlich sind auch noch vereinzelte Nummern ehemaliger FDP-Abgeordneter im Gruppenchat. Unverhofft kassiert er daher einige empörte Reaktionen. Darunter: Marco Buschmann ("Sehr witzig!"), Christian Lindner ("Ich überfahre nicht nur Hunde!"), Johannes Vogel ("Brauchst du Aktienrente?") oder Marie-Agnes Strack-Zimmermann ("Anzeige ist raus!").

07:38 Uhr:
Friedrich Merz möchte am wichtigsten Tag seiner politischen Spätkarriere so volksnah wie möglich wirken. Er landet seinen Privatjet daher nicht direkt vor dem Reichstag, sondern auf dem Gendarmenmarkt. Die fehlenden knapp zwei Kilometer legt er per E-Scooter zurück, den er jedoch neuerdings nicht mehr direkt am Platz der Republik abstellen darf, sondern einen ausgewiesenen Parkplatz suchen muss. Verärgert wirft er den Scooter in die Spree. Dass wenige Stunden später seine politische Karriere folgen würde, ahnt er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

08:17 Uhr:
Matthias Miersch überzeugt Saskia Esken und Hubertus Heil in letzter Sekunde davon, ihre auf dem Hinweg in einem Copy-Shop in Neukölln spontan mit der Aufschrift "Heute wird auch über Klingbeil abgestimmt!" bedruckten T-Shirts wieder auszuziehen, bevor sie den Plenarsaal betreten.

09:05 Uhr:
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner eröffnet die Sitzung. Auf der Besuchertribüne macht SPD-Nachwuchshoffnung und Kanzlerkandidatin für 2041, Lilly Blaudszun, Selfies mit Angela Merkel.

09:09 Uhr:
In alphabetischer Reihenfolge werden alle Abgeordneten zur Wahl aufgerufen. Die erste ist Sanae Abdi. Carsten Linnemann ermahnt Friedrich Merz, die WhatsApp mit "die bekommt doch garantiert vor mir einen Zahnarzttermin" nicht versehentlich an Ronzheimer zu schicken.

09:44 Uhr:
Tino Chrupalla sucht den Kinderreporter, der vor knapp vier Jahren nach seinem Lieblingsgedicht gefragt hatte, um ihm stolz mitzuteilen, dass er inzwischen eins hat: "Schwarzbraun ist die Haselnuss" von Volkslyriker Heino.

10:06 Uhr:
Klöckner verkündet das Ergebnis: Merz erhält nur 310 Stimmen. Das reicht nicht zum Kanzler. Der Grünen-Abgeordnete Timon Dzienus teilt seinen 32.294 überraschten X-Followern mit, nicht für Merz gestimmt zu haben. Wie ungewöhnlich für einen Abgeordneten aus einer Partei, die nicht an der Regierungskoalition beteiligt ist. Übrigens: 32.294 Follower klingt viel, aber selbst ich habe 263.265. Etwa so viele also, wie Fabio de Masi ungezählte Stimmen für das BSW gefunden hat. Die Kanzlerwahl wäre daher ohnehin annulliert worden.

11:09 Uhr:
Während die Fraktionen rotieren, was nun zu tun ist, nutzt Alice Weidel die Gelegenheit, um ihr neues Comedy-Programm vorzustellen: Die AfD-Fraktionsvorsitzende fordert Neuwahlen, einen sofortigen Abgang von Friedrich Merz und die Übertragung der Regierungsaufgaben an die AfD.

11:21 Uhr:
Friedrich Merz berät sich mit der Fraktion, wie er die Niederlage irgendwie Robert Habeck oder kleinen Paschas in die Schuhe schieben kann. Irgendwo im Hintergrund lacht Armin Laschet.

11:37 Uhr:
Auf der Tribüne hat Charlotte Merz, die designierte First Lady, ihre Gesichtszüge wieder im Griff. Die extra zum Ehrentag ihres Vaters angereisten Töchter Carola und Constanze vermuten, das alles sei vielleicht die Rache von Lutz van der Horst. Werden sie jetzt doch nicht die deutschen Obamas?

12:07 Uhr:
Die Fahndung nach den 18 Abgeordneten von Union und/oder SPD, die nicht für Merz gestimmt haben, beginnt. Ronzheimer schickt WhatsApp mit dem Meme "I see what you did there!" mit Jake Gyllenhaal an Roderich Kiesewetter und Norbert Röttgen. Kieswetter antwortet mit 419 lachenden Smileys. Röttgen schreibt "Ich stehe bereit!", löscht die Nachricht aber drei Sekunden später.

14:12 Uhr:
Lars Klingbeil und Jens Spahn haben derweil die 2/3-Mehrheit zusammen, die notwendig ist, um die Geschäftsordnung zu umgehen und noch heute einen zweiten Wahlgang zu starten. Dieser Kuhhandel kostete lediglich den Einriss der CDU-Brandmauer zu den Linken, mit denen laut Unvereinbarkeitsbeschluss nicht gemeinsam abgestimmt werden darf.

14:44 Uhr:
Ein Eilantrag von Annalena Baerbock scheitert, die Flugzeuge der Bundesregierung bis zur rechtskräftigen Wahl eines neuen Außenministers unter dem Namen "Bacon of Hope Airways" zwölfmal täglich auf der Strecke Berlin-New York einzusetzen.

15:41 Uhr:
Alexander Gauland und Beatrix von Storch erwägen, beim zweiten Wahlgang mit der gesamten AfD-Fraktion Merz zu wählen, damit er als Kanzler von Gnaden der AfD in die Annalen eingeht. Aus dem Louis Vuitton Shop am Kurfürstendamm legt Maximilian Krah telefonisches Veto ein. Merz solle ein zweites Mal durchfallen. Dann würde Krah sich selbst als Kanzlerkandidaten vorschlagen.

15:59 Uhr:
Alexander Dobrindt postet unter seinem Gamer-Pseudonym "KlimaRAFAlex" enttäuscht "Alles Scheiße, kann wer reden?" in die World of Warcraft Community. Er hatte für seinen ersten Tag als Innenminister bereits 284 Verordnungen zur Abschiebungs-Optimierung und Grenzabweisungs-Offensive für Migranten vorbereitet, die er jetzt womöglich an die AfD zurückgeben muss.

16:22 Uhr:
Happy End für Merz. Er wird im zweiten Wahlgang zum Kanzler gewählt. Sein Handy piept im Sekundentakt. Erster Gratulant ist Edmund Stoiber, der ihm rät, zur Feier des Tages im Garten eine Blume hinzurichten.

Die erste Kanzlerwoche für Merz startet also doch noch. Wie er sich in seinem Traum-Amt, das er 40 Jahre herbeigesehnt hatte, schlägt, verrate ich kommende Woche. Dann liegen mir eventuell auch schon die Protokolle vom 6. November 2024 vor, als Olaf Scholz Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bat, Christian Lindner als Finanzminister zu entlassen. Ein weiterer sensationeller Polit-Krimi. Bis dann!