Die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch hat die Diskussion über ein Verbotsverfahren neu angefacht. Das Gutachten des Verfassungsschutzes zeigt, dass die Partei den demokratischen Verfassungsbogen verlassen hat. Das heißt nicht, dass nun ein Verbot beantragt werden sollte.
Wer das 1117-seitige Gutachten des Verfassungsschutzes über die AfD in Gänze studiert, sieht zahlreiche Belege, dass die Partei den demokratischen Verfassungsbogen verlassen hat, also als rechtsextremistisch zu gelten hat. Von "Messermigration" ist ebenso die Rede wie von einer kollektiven Rückführung von Menschen mit Migrationshintergrund, was aus Sicht der AfD nach Einschätzung des Verfassungsschutzes auch deutsche Staatsbürger einschließt.
Das gilt auch für das Wahlprogramm der AfD für die Bundestagswahl von 2025, dem ab Seite 986 ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Nur - rechtfertigt sich dadurch ein Verbot? Die Beobachtung der AfD ist Ausdruck der wehrhaften Demokratie, aber auch ein Balanceakt zwischen politischer Neutralität und verfassungsrechtlicher Schutzpflicht.
Ein Parteiverbot bleibt angesichts der verfassungsrechtlichen Hürden und politischen Risiken ein äußerstes Mittel. Gleichwohl liegt es nun in der Verantwortung von Zivilgesellschaft, Medien, Justiz und Politik, die Entwicklung der AfD kritisch zu begleiten - auf Basis von Recht, Transparenz und demokratischer Abwägung.
Beweislage und Verhältnismäßigkeit
Ein besonders kritischer Punkt im Zusammenhang mit dem Verfassungsschutzgutachten zur AfD ist die Frage nach der Beweislage und den Quellen, auf denen die Einschätzungen beruhen. Dass zahlreiche Belege aus öffentlichen Reden, Interviews oder Parteitagen stammen, ist nachvollziehbar - doch ein erheblicher Teil der Bewertungen stützt sich auch auf Facebook-Postings, Social-Media-Kommentare und Likes einzelner Parteimitglieder. Hier stellt sich die Frage, ob solche vereinzelten, teils polemischen Äußerungen - oft aus dem informellen oder privaten Raum - tatsächlich ausreichen, um den Vorwurf einer systematischen Verfassungsfeindlichkeit gerichtsfest zu untermauern. Die Grenze zwischen ungeschickter Provokation, gezielter Empörungstaktik und echter demokratiefeindlicher Strategie ist auf sozialen Plattformen schwer zu ziehen.
Ein weiterer kritischer Gedanke betrifft die Frage nach der Verhältnismäßigkeit staatlicher Reaktion in einer pluralistischen Demokratie. Ein Parteiverbot ist das schärfste verfassungsrechtliche Mittel gegen politische Organisationen. Gerade deshalb darf es nicht als Ausdruck staatlicher Hilflosigkeit gegenüber dem politischen Erfolg von Parteien missverstanden werden. Wenn eine Partei wie die AfD wachsende Zustimmung erhält und gar zur stärksten Partei in den Umfragen wird, liegt die Herausforderung nicht nur im juristischen Umgang mit extremistischen Tendenzen, sondern vor allem in der politischen Auseinandersetzung.
Mehrere Jahre Unsicherheit
Ein weiterer und oft übersehener Aspekt betrifft die zeitliche Dimension eines möglichen Parteiverbotsverfahrens - und damit die Gefahr einer politischen und rechtlichen Zermürbung ohne klare Konsequenz. Einen Verbotsantrag müsste der Deutsche Bundestag, die Bundesregierung oder der Bundesrat stellen, darüber entscheiden würde das Bundesverfassungsgericht. In der Regel dauert ein solches Verfahren mehrere Jahre, wie das Beispiel der NPD zeigt. In dieser Zeit bleibt die betroffene Partei weiterhin aktiv, präsent in Parlamenten, Wahlkämpfen und Medien. Der schwebende Verdacht kann zwar öffentlichkeitswirksam sein, ersetzt aber keine klare rechtliche Klärung, sondern erzeugt einen Zustand der Unsicherheit - sowohl für politische Gegner als auch für die demokratische Öffentlichkeit.
Diese Langfristigkeit birgt die Gefahr, dass das Instrument des Parteiverbots seine abschreckende Wirkung verliert, gleichzeitig aber als symbolische Bedrohung dauerhaft im Raum steht. Damit würde nicht nur der Rechtsstaat strategisch überfordert, sondern es entstünde auch ein politisches Klima, in dem die Grenze zwischen rechtlicher Prüfung und politischer Ausgrenzung zunehmend verschwimmt. Ein glaubwürdiger demokratischer Umgang mit verfassungsfeindlichen Tendenzen muss daher nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich stringent und nachvollziehbar geführt werden.
Offiziell wurde das Gutachten noch gar nicht veröffentlicht
Ein besonders heikler Kritikpunkt im Umgang mit dem Verfassungsschutzgutachten zur AfD betrifft die Transparenz und Informationspolitik des Staates - konkret: den Umstand, dass das Gutachten zunächst unter Verschluss gehalten, dann jedoch geleakt und medial verwertet wurde. Diese Vorgehensweise wirft gleich mehrere grundsätzliche Fragen auf.
Wenn ein Dokument, das die Grundlage für die Beobachtung einer demokratisch gewählten Partei bildet, nicht öffentlich einsehbar, aber gleichzeitig in Auszügen strategisch an Medien durchgestochen wird, entsteht ein problematisches Spannungsverhältnis zwischen Sicherheitsinteresse und demokratischer Öffentlichkeit. Denn auf diese Weise wird politische Wirkung erzeugt, ohne dass die betroffene Partei oder die Öffentlichkeit die Argumentation in vollem Umfang prüfen kann. Das widerspricht nicht nur dem rechtsstaatlichen Transparenzgebot, sondern nährt auch den Vorwurf politischer Instrumentalisierung staatlicher Macht.
In einer offenen Demokratie darf der Schutz der Verfassung nicht auf dem intransparenten Spiel mit Informationen beruhen, sondern muss durch klare, überprüfbare und öffentlich einsehbare Argumente legitimiert sein. Alles andere beschädigt das Vertrauen in die Neutralität staatlicher Institutionen - und leistet Verschwörungsnarrativen ungewollt Vorschub. Gerade weil das Gutachten politisch brisant ist, wäre ein offensiver, rechtlich klar geregelter Umgang damit essenziell gewesen, um den Verdacht selektiver Öffentlichkeit und taktischer Leaks zu vermeiden.
Lehren aus den NPD-Verbotsverfahren
Die Debatte um ein mögliches Verbot der AfD und die Rolle des Verfassungsschutzgutachtens lassen sich in mehrfacher Hinsicht mit den beiden gescheiterten Parteiverbotsverfahren gegen die NPD (2003 und 2017) vergleichen - insbesondere im Hinblick auf juristische Hürden, Beweisführung und demokratische Abwägungsfragen. Dabei zeigen sich strukturelle Parallelen, aber auch bedeutende Unterschiede, die für die Bewertung eines AfD-Verbots zentral sind.
Ein entscheidender Bezugspunkt ist das erste NPD-Verfahren von 2003, das nicht inhaltlich, sondern aus formalen Gründen scheiterte: Das Bundesverfassungsgericht stellte das Verfahren ein, weil der Verfassungsschutz seine V-Leute bis in die Führungsspitze der NPD nicht offengelegt hatte. Dies untergrub die Beweissicherheit und Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Daraus ergibt sich für das Vorgehen gegen die AfD die Lehre, dass staatliche Einflussnahme - etwa durch verdeckte Ermittlungen oder politische Instrumentalisierung - verfahrensrechtlich hochsensibel ist und sogar ein rechtlich gut begründetes Verbot zum Scheitern bringen kann.
Im zweiten NPD-Verfahren kam das Bundesverfassungsgericht zu dem Schluss, dass die Partei zwar verfassungsfeindliche Ziele verfolge, aber zu bedeutungslos sei, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung tatsächlich gefährden zu können. Diese Entscheidung zeigt, dass ein Parteiverbot nicht allein auf ideologische Inhalte gestützt werden kann. Es muss zusätzlich eine konkrete "aktiv kämpferische Haltung" vorliegen, mit realer Wirksamkeit. Übertragen auf die AfD bedeutet das: Selbst, wenn man verfassungswidrige Positionen nachweisen kann, wäre ein Verbot nur dann möglich, wenn zugleich eine erhebliche Gefährdung des demokratischen Systems festgestellt wird - beispielsweise durch Machtpositionen in Institutionen, systematische Unterwanderung oder Gewaltbereitschaft.
Zusammenfassend zeigen die NPD-Verfahren, dass Parteiverbote in Deutschland extrem hohen Anforderungen unterliegen. Für die AfD bedeutet dies, dass weder ein Gutachten noch öffentliches Empören allein ausreichen - sondern eine stringente, transparente und rechtsstaatlich unangreifbare Beweislage notwendig wäre. Zugleich belegen die Verfahren, dass der Rechtsstaat wehrhaft ist - aber eben auch selbstkritisch und zurückhaltend, wenn es um das Verbot politischer Organisationen geht. Ein AfD-Verbotsverfahren, das noch nicht eingeleitet ist, müsste daraus sowohl juristische Sorgfalt als auch politische Verantwortung ableiten.
Der Autor: Dr. Florian Hartleb ist Extremismusforscher und Habilitand an der Universität Passau.