Lindner bringt die FDP noch einmal zum Jubeln, dann ist er weg

Christian Lindner führte die FDP so lange wie kein anderer Vorsitzender. Doch nun bricht eine neue Zeit an. Auf dem Bundesparteitag legt er einen "Rechenschaftsbericht" ab. Es ist ein emotionaler Moment für die Partei, das Ende einer Ära.

Am Ende seiner Rede steht Christian Lindner gefasst lächelnd auf der Bühne eines Berliner Kongresszentrums, nickt immer wieder, greift sich ans Herz. Der langjährige FDP-Chef hat gerade seine vorerst letzte Rede auf einem Parteitag gehalten. "Ich schaue auf eine großartige Reise mit euch zurück und dafür bin ich zutiefst dankbar", sagte er zu Beginn. Die Partei rief er zum Neuanfang auf: "Mag sich für viele dieser Parteitag wie ein Nullpunkt anfühlen. Er ist nur ein neuer Anfang für diese großartige Freie Demokratische Partei."

Zu Beginn des 76. Bundesparteitages der FDP sieht alles aus wie immer. Lindner sitzt neben Marco Buschmann und Wolfgang Kubicki auf dem Podium, Johannes Vogel fordert am Rednerpult Reformen. Doch in Wahrheit ist alles anders. Nach der katastrophalen Niederlage bei der Bundestagswahl am 23. Februar hat Lindner nach zwölf Jahren als Parteichef seinen Rückzug bekannt gegeben. Statt zweistellige Wahlergebnisse im Rücken zu haben, so wie 2017 und 2021, heißt es nun: Scherben zusammenfegen, neu aufbauen.

Ausgerechnet Lindner spielt dabei eine tragische Rolle. Er ist das Gesicht der Niederlage und zugleich jemand, der auch für Hoffnung steht. Denn Lindner gelang das, was die Partei jetzt ohne ihn schaffen will: Schon 2013 war die FDP aus dem Bundestag ausgeschieden. Die Freien Demokraten waren im freien Fall - bis Lindner das Steuer herumriss. Dafür ist ihm auf ewig ein Platz in der Hall of Fame der FDP sicher. Schafft die Partei das ohne ihn nochmal? Sie ist jedenfalls wild entschlossen.

Was ist einem Liberalen wichtig?

Darüber spricht auch Lindner. "Es geht nicht nur um die Frage, wie die Freien Demokraten in den Deutschen Bundestag zurückkehren, sondern um eine Neuvermessung des politischen Liberalismus", sagt er. Er fragte, was einem Liberalen wichtig sei. Schuldenbremse? Steuersenkung? Ich? Nein, die Antwort sei immer "Du". "Es geht um dich. Es geht um deine Chance, auf die Art glücklich zu werden, wie du willst", ruft er unter dem Jubel der Delegierten. Wobei es in den vergangenen Jahren doch eher die Schuldenbremse war.

Dennoch - Worte, die zeigten, er könnte schon noch, wenn er wollte. Im Bundestag hatte er in seiner letzten Rede ebenfalls noch schlagfertige Sätze rausgehauen: "Wer sind Sie und was haben Sie mit Friedrich Merz gemacht?", rief er dem CDU-Chef zu, nachdem der einer Lockerung der Schuldenbremse zugestimmt hatte. "Die Menschen haben Friedrich Merz gewählt und Saskia Esken bekommen", war ein ebenso treffsicherer Satz.

Seither ist es ruhig um Lindner geworden. Nach dem Amt des Finanzministers und dem Turbo-Wahlkampf fiel ihm gleich die nächste Challenge zu. Er wurde Vater eines Mädchens. Mit politischen Äußerungen fiel er nicht mehr auf. Er meldete einen Beruf als freier Autor und Redner an und postete auf Instagram ein Video, in dem er durch einen Wald geht und darüber sinniert, was er als Nächstes tun könnte. Außerdem überfuhr er versehentlich einen nicht angeleinten Hund auf einem Parkplatz. Augenzeugen zufolge leistete er vergeblich erste Hilfe.

Pflicht-Video für Parteinachwuchs

Vor den FDP-Delegierten spricht Lindner lieber über etwas anderes. Über das große Ganze, darüber, was einen FDPler ausmacht. Das Herz der Liberalen gehöre jenen, die durch Leistung und Einfallsreichtum etwas aufbauen wollten. "Denn die brauchen uns", rief er. Dem Liberalismus mangele es auch nicht an Mitgefühl, so Lindner. "Gibt es eigentlich ein stärkeres politisches Gefühl als die Liebe zur Freiheit, und gibt es ein edleres Motiv, als sich für die Freiheit seiner Mitmenschen einzusetzen? Ich sage nein!" Worte, die zum Pflicht-Video für den FDP-Nachwuchs werden könnten.

Mit 47 Jahren ist Lindner für einen Politiker noch jung. Doch er ist jetzt ein Mann von gestern. Nicht viele haben mehr Erfahrung als der FDP-Chef. In einem Grußwort sagte der frühere Verfassungsrichter Udo di Fabio, er kenne Lindner seit mehr als 20 Jahren. 2002 sei er in seine Seminare gekommen. "Da war er so ein blonder Student. Er fiel mir auf, weil er blitzgescheit war."

Mit 19 wurde er in Nordrhein-Westfalen Landtagsabgeordneter und blieb seitdem der Politik und der FDP treu. In Erinnerung bleiben Slogans wie "Digitalisierung first, Bedenken second" und besonders auch der Satz "Lieber nicht regieren, als falsch regieren". Mit diesen Worten beendete er 2017 die Sondierungen mit Union und Grünen über eine Jamaika-Koalition. Später haderte er mit dieser Entscheidung. Manche meinen, das Jamaika-Scheitern habe ihn unter Zugzwang gesetzt, ein Bündnis mit SPD und Grünen einzugehen.

Mit der Ampel begann sein Stern zu sinken, zumindest außerhalb der Partei. Lindner wurde zum Gesicht des Dauerstreits in der Ampel. Auch seine Eitelkeit störte viele. Mit wachsender Lust - oder Verzweiflung - reizte er SPD und Grüne mit immer neuen Forderungen, meist nach Steuersenkungen. Dabei war er sich keiner Schuld bewusst, warf den Koalitionspartnern dasselbe vor.

"Abschied fällt mir nicht leicht"

Als seinen größten Fehler bezeichnete er es, die Ampel nicht früher verlassen zu haben. Die D-Day-Affäre am Ende kostete ihn weiteres Ansehen. Laut Medienberichten soll die FDP das Ende der Ampel planmäßig herbeiprovoziert haben. Was Lindner stets leidenschaftlich zurückweist. Er stellt sich lieber als prinzipientreu dar. Er habe zugunsten der Schuldenbremse auf sein Amt verzichtet.

Di Fabio sagt unter dem Applaus der Delegierten, es werde kein Politiker verabschiedet, der gescheitert sei, sondern jemand, der nach guter demokratischer Regel Verantwortung für eine Wahlniederlage übernommen habe.

"Ihr merkt's. Mir fällt dieser Abschied nicht leicht", sagt Lindner. "Mein liberales Herz will eigentlich schon wieder losstürmen, die nächsten 100 Veranstaltungen planen, die Groko stellen." Es sei das Ende eines Kapitels. Für die Partei beginne ein neues Kapitel. "Lasst uns gemeinsam wieder erfolgreich sein!"

Es ist ein emotionaler Moment für die Partei, nicht nur das Ende eines Kapitels, eine Ära geht zu Ende. Bei manchen Delegierten dürfte sich das Gefühl einstellen: Einen wie Lindner bräuchte man jetzt. Doch so jemanden hat die Partei nicht noch einmal. Dürr hat angekündigt, mehr im Team zu arbeiten. Und das muss kein Nachteil sein.