Der Bundestag will ab September die Corona-Politik neu aufrollen. In einer Enquete-Kommission sollen Politiker und Experten aufarbeiten, was gut und was schlecht gelaufen ist. Die designierte Vorsitzende, die CDU-Abgeordnete Hoppermann, sagt im Interview, was sie sich vorgenommen hat.
ntv.de: Frau Hoppermann, ist Deutschland gut durch die Pandemie gekommen?
Franziska Hoppermann: Ich glaube, wenn man uns mit anderen Nationen vergleicht, alles in allem schon.
Welche Erinnerungen verbinden Sie mit dieser Zeit?
Es war eine wahnsinnig intensive, herausfordernde Zeit. Ich war damals in der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz sehr eng ins Krisenmanagement der Stadt Hamburg eingebunden. Aber auch privat gab es wahnsinnig große Herausforderungen. Homeschooling zum Beispiel. Im Bekanntenkreis und der Familie hatten wir einige Todesfälle, die Beerdigungen fanden dann "kontaktlos" und selbst in der Familie ohne Abschiedsfeier statt. Aber es gab auch viele Momente, in denen wir als Familie eng zusammen waren. Auch die werden wir in besonderer Erinnerung halten.
Waren Sie eher Team Vorsicht oder Team Öffnung?
Ich war eher Team Vorsicht, mit Tendenz zur Mitte. Ich war zum Beispiel ganz klar für die Impfung, aber gegen eine Impfpflicht. Einschränkungen bei der Personenzahl auf Spielplätzen oder Wochenmärkten fand ich hingegen auch ein bisschen schräg. Auf einer Radtour im Naturschutzgebiet wurden wir einmal von der Polizei angehalten. Die sagten uns: "Sie dürfen hier nicht weiterfahren. Sie übertreten die Landesgrenze." Das fand ich damals schon skurril.
Haben Sie auch selbst genähte Masken getragen?
Ja, natürlich. Genäht habe ich selbst nicht, aber geschenkt bekommen und wir haben sie getragen. Und uns mit der Frage beschäftigt, wie wir die im Backofen desinfizieren können.
Ab September will der Bundestag die Corona-Pandemie aufarbeiten. Dem widmet sich zwei Jahre lang eine Enquete-Kommission, voraussichtlich unter Ihrem Vorsitz. Warum ist das wichtig?
Ich glaube, Corona hat in der Gesellschaft zu einer erheblichen Spaltung geführt. Nicht nur im politischen Bereich, sondern bei fast allen. Jeder kennt diese Geschichten aus der Familie oder dem Freundeskreis, wo diese Frage nach Team Vorsicht oder eben nicht zu einer Trennung geführt hat. Ich glaube, da sind ganz viele Wunden, die zur Sprache kommen müssen. Wir wollen zur Versöhnung beitragen. Einen Ort für diese Fragen schaffen. Wo es nicht darum geht, Leute an den Pranger zu stellen. Aber es sind ja auch Dinge gut gelaufen. Auch das soll dort einen Platz haben.
Warum ist da eine Enquete-Kommission im Bundestag das richtige Format für diese riesige, letztlich gesamtgesellschaftliche Aufgabe?
Es geht um den Beitrag, den die Politik leisten kann. Die Enquete-Kommission kombiniert Abgeordnete des Deutschen Bundestages und externe Sachverständige. Das ermöglicht es uns, die Breite der Betroffenen abzubilden und wissenschaftlich fundiert über die Dinge zu sprechen. So kommen wir weg von einer rein politischen Bewertung. Ich glaube, es ist wichtig, dass das zusammen geschieht.
Wenn Sie in zwei Jahren einen Bericht vorlegen - welchen Unterschied wird und soll der machen?
Der Bericht soll den Menschen zeigen: Wir sehen die Probleme und Themen, von Wirtschaftshilfen bis zum Verlust lieber Menschen. Was war gut, was war nicht gut? Wie stellen wir uns resilient und für mögliche weitere Krisen auf? Solche Fragen wollen und müssen wir klären.
14 Sachverständige werden Mitglied der Kommission sein. Wer wird das sein? Wird Christian Drosten dabei sein?
Das kann ich noch nicht sagen. Die Sachverständigen werden von den Fraktionen berufen. Ich weiß auch noch gar nicht, welche Mitglieder des Deutschen Bundestages in der Enquete sitzen werden.
Hendrik Streeck könnte sowohl als Experte als auch als Abgeordneter teilnehmen. Er sitzt für die CDU im Bundestag. Wird er dabei sein?
Bisher hat die Unionsfraktion die Aufstellung noch nicht abgeschlossen.
Schon während der Pandemie zeigte sich: Nicht alle ziehen mit. Beispielsweise wollten sich viele nicht impfen lassen. Wie erklären Sie sich das?
Das habe ich mich damals auch gefragt. Der Impfstoff wurde sehr schnell entwickelt, viel schneller als üblich. Für viele stellte sich die Frage, wie sicher er war. Dann gab es nach Astrazeneca-Impfungen Fälle von Herzproblemen. Die Ständige Impfkommission tat sich sehr schwer, zu schnellen Entscheidungen zu kommen. All das trug zur Verunsicherung bei. Viele Menschen nahmen einen moralischen Überdruck wahr, sich impfen zu lassen. Einen gefühlten Zwang. Das war vielen nicht geheuer. Sie sagten: So will ich das nicht, das will ich frei entscheiden.
Manche meinen, dieser Vertrauensverlust hat sich ausgebreitet, gegen die Politik insgesamt. Nehmen Sie das auch so wahr?
Ich glaube, ein Stück weit haben Sie recht. Zumal es mit der AfD eine Partei gibt, die das für sich politisch zu nutzen wusste. Sie strickte daraus auch noch andere Verschwörungstheorien. Das ging ja bis hin zu der Behauptung, Covid 19 gebe es gar nicht. Oder es sei überhaupt nicht schlimm. Auch wurde von einigen behauptet, mit der Impfung werde allen ein Chip von Microsoft implantiert. Da gab es die wildesten Theorien. Übrigens habe ich solche Zwischenrufe gestern auch von der AfD in der Bundestagsdebatte gehört: "Corona gab es gar nicht" und solche Dinge.
Ein Thema der Kommission soll die Beratung der Politik durch Experten sein. Warum?
In der Politik ist man immer auf Expertenwissen angewiesen. Aber man muss immer abwägen, was das für die gesamte Gesellschaft bedeutet. In der Corona-Krise zeigte sich das ganz deutlich. Nehmen Sie die Impfpflicht. Viele Virologen meinten, sie sei sinnvoll, sie sollte zumindest teilweise eingeführt werden. Die Politik muss aber schauen, was das bedeuten würde. Sind Grundrechte betroffen? Kann ich Leute dazu zwingen? Oder bestrafen, wenn sie sich nicht impfen lassen? Ein anderes Beispiel sind die Schulschließungen. Um Kontakte einzudämmen und die Virusverbreitung zu stoppen, war das sicher ein Beitrag. Aber um welchen Preis? Kinder- und Jugendpsychologen zufolge war es für Heranwachsende unglaublich schädlich, nicht mehr in die Schule gehen zu können. Jetzt bringen Sie das einmal in Einklang. Das war die politische Herausforderung.
Wird auch die Maskenbeschaffung durch Gesundheitsminister Jens Spahn Thema sein?
Das gesamte Thema der Beschaffung von medizinischer Schutzkleidung wird sicher Thema sein. Da geht es ja nicht nur um Masken, sondern auch um Handschuhe, Kittel, Desinfektionsmittel oder Beatmungsgeräte. Das war alles ein Thema, weil wir für vieles keine lokale Produktion haben.
Grüne, Linke und AfD fordern einen Untersuchungsausschuss gegen Jens Spahn. Ist die Enquete-Kommission auch ein Versuch, einen Untersuchungsausschuss zu verhindern?
Nein. Ein Untersuchungsausschuss untersucht Fehlverhalten und Missstände von Regierung, Verwaltung und einzelnen Politikern in einem eingegrenzten Bereich. Das bietet überhaupt nicht die Breite, mit der Corona die Gesellschaft getroffen hat. Darin werden auch gar keine Empfehlungen für künftige Krisen entwickelt. Ehrlich gesagt, habe ich niemanden in anderen Krisenfragen so offen und transparent auf diese Fragen eingehen sehen wie Jens Spahn. Wir können auch fragen, wie viel Geld für Impfstoffe gegen Ende der Corona-Pandemie ausgegeben wurde. Diese Bestellungen hat Karl Lauterbach ausgelöst. Das machen wir auch nicht.
Sie sind also gegen einen Untersuchungsausschuss?
Ja, wir haben eine bessere Lösung gefunden.
Spahn sagt jetzt immer, wir seien weiterhin nicht auf eine Pandemie vorbereitet.
Das würde ich teilen.
Müsste man da nicht sofort etwas tun? Beispielsweise jetzt eine Maskenproduktion in Deutschland aufbauen, nicht erst in zwei oder mehr Jahren?
Das haben wir in der Pandemie ja getan. Aber preislich kann eine Produktion in Deutschland niemals mit der in China mithalten. Die Masken muss ja auch jemand kaufen. Masken haben auch ein Verfallsdatum. Man kann sie nicht endlos lagern. Wenn wir Masken vorhalten, müssen die immer wieder abfließen. Diese Fragen sind nicht geklärt.
Schreiben Sie dann mögliche Konzepte in den Bericht hinein?
In welcher Granularität wir das tun werden, kann ich noch nicht sagen. Aber wir werden sicher etwas dazu erarbeiten.
Es gibt Leute, die halten Christian Drosten für einen Mörder, Angela Merkel für eine Verbrecherin. Was macht Sie zuversichtlich, dem mit so einer Kommission etwas entgegenzusetzen?
Eine Enquete-Kommission ist die im parlamentarischen Raum neutralste und fachlichste Art und Weise so etwas aufzuarbeiten. Die Mitglieder werden aus Union, SPD, Grünen, AfD und Linken kommen. Sie wird zu gleichen Teilen aus Politikern und Fachleuten besetzt sein. Mehr können wir kaum tun.
Glauben Sie, die AfD wird das Ergebnis mittragen?
Darauf bin ich gespannt. Daran wird sich zeigen, wie ernst es die AfD mit einer objektiven Aufarbeitung meint.
Mit Franziska Hoppermann sprach Volker Petersen.