Durch die Maskenbeschaffung während der Corona-Krise droht ein Milliarden-Schaden. Der frühere Gesundheitsminister Spahn steht wegen seiner Entscheidungen in der Kritik. Ein eigenes Fehlverhalten sieht er nicht. Doch nun kommen brisante Details ans Licht.
Bei den umstrittenen Maskengeschäften des Bundes mit der Schweizer Firma Emix-Trading, die der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn persönlich per Mail freigegeben hat, finden sich offenbar keine Hinweise, dass vorher der Bedarf geprüft worden ist. Das ergibt sich aus einer geschwärzten Stelle im Bericht von Masken-Sonderermittlerin Margaretha Sudhof, die dem "Spiegel" ungeschwärzt vorliegt. Den geschwärzten Bericht hatte Gesundheitsministerin Nina Warken in der vergangenen Woche an den Haushaltsausschuss des Bundestags übergeben.
Spahn hatte während der Pandemie 100 Millionen Masken für 5,40 Euro bei der von Andrea Tandler vertretenen Klein-Firma bestellt, obwohl er zuvor andere Einkäufe für 4,50 Euro pro Stück wegen eines Überangebots abgebrochen hatte. Andrea Tandler ist die Tochter des ehemaligen CSU-Politikers Gerold Tandler.
Sonderermittlerin Sudhof konnte eigenen Aussagen zufolge lediglich bei zwei früheren Verträgen des Bundes mit Emix von Mitte März überhaupt feststellen, dass eine Stelle im Ministerium "in Bezug auf den Bedarf Skepsis äußerte". Dabei ging es noch um OP-Handschuhe. Die Vergabestelle im Ministerium fragte demnach intern an: "Da wir momentan etwas aufs Geld achten müssen, können Sie bitte mal prüfen, wie dringend der Bedarf an diesen Handschuhen ist?" Eine Antwort darauf konnte Sudhof in den Ministeriumsakten nicht feststellen, die Handschuhe wurden bestellt.
Bei den anschließenden, wesentlich größeren Maskengeschäften mit Emix heißt es dann im Sudhof-Bericht: "Zu keiner der Emix-Beschaffungen finden sich Ausführungen/Erwägungen/Abwägungen, die den Bedarf betreffen." Neue Erkenntnisse aus dem Bericht ergeben sich auch für den Vergleich, mit dem schon im Mai 2020, wenige Wochen nach der letzten Bestellung, das Einkaufsvolumen bei Emix von 967 auf knapp 750 Millionen Euro reduziert wurde.
Laut Sudhof wurde der Firma mit dem Vergleich unter anderem ein dreimaliges Nachlieferungsrecht für mangelhafte Masken bis zum Jahresende 2020 eingeräumt. Zudem sicherte der Bund der Emix laut Sudhof zu, dass die "vereinbarten Preise als Marktpreise gesehen werden", was einer späteren Rückabwicklung der Geschäfte wegen möglicherweise überzogener Preise im Weg gestanden hätte.
Spahn: Keine Erinnerung an Aufträge
Der heutige Unionsfraktionschef Spahn teilte mit, er habe keinen Zugang mehr zu Akten im Ministerium und könne sich an die Emix-Aufträge nach fünf Jahren nicht erinnern, gehe aber davon aus, dass der Bedarf intern geprüft worden sei. Nach einer Befragung durch Parlamentarier hinter verschlossenen Türen Ende Juni sieht Spahn die meisten Vorwürfe gegen sich wegen der Corona-Maskenbeschaffung für entkräftet.
Der spätere Vergleich mit Emix sei Sache der Fachabteilung und von eingeschalteten Anwaltskanzleien gewesen. Emix habe sich nicht zu Fragen des "Spiegel" mit Verweis auf eine vereinbarte Vertraulichkeit in Vertragsangelegenheiten geäußert.
Auch das Ministerium habe dem Bericht zufolge zu den Emix-Vertragsschlüssen und dem späteren Vergleich keine Stellung nehmen wollen. Lediglich zur Nachfrage, die aus der hauseigenen Vergabestelle zu den Handschuh-Verträgen mit Emix kam, stellte das Ministerium fest, auch hier sei es nicht um eine kritische Bemerkung zum Bedarf gegangen, sondern allenfalls darum, ob genug Haushaltsmittel dafür bereitstünden.
Hat Ministerium Spahn geschützt?
Zudem soll das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit den Schwärzungen in dem Sudhof-Bericht einem Bericht der "Süddeutscher Zeitung" zufolge offenbar Spahn schützen wollen. Dies gehe aus dem Vergleich der geschwärzten Variante des Berichts der Sonderermittlerin Sudhof mit dem ungeschwärzten Original hervor, das auch SZ, NDR und WDR vorliegt. Als Grund für die Schwärzungen wurde angegeben, dass damit Persönlichkeitsrechte sowie Dienst- und Firmengeheimnisse geschützt und Prozessrisiken für den Bund gemindert werden sollten.
Doch in den Fußnoten seien fast durchgängig auch jene Belegstellen unkenntlich gemacht worden, die zeigen, wie sehr Spahn persönlich in Beschaffungsentscheidungen eingebunden war und wie deutlich er vor den Risiken seiner Entscheidungen gewarnt wurde. Insgesamt würden sich hinter den geschwärzten Passagen zwölf Mails von oder an Jens Spahn sowie mehrere Leitungsvorlagen an den Minister verbergen, die belegen, dass Bedenken und Warnungen seinen Schreibtisch oder sein Mailpostfach zumindest erreicht haben.
Milliardeneinsparung möglich
Zudem zeige das ungeschwärzte Original, dass der Sudhof-Bericht den Bund womöglich vor der Zahlung einer Milliardensumme bewahren könnte. Denn kurz nachdem der Bericht dem BMG im Januar 2025 vorgelegt wurde, änderte das Ministerium seine Strategie in den zahlreichen Prozessen, die es derzeit gegen Maskenhändler führt, die aufgrund nicht abgenommener Masken gegen den Bund klagen.
Die geänderte Strategie führte im Mai erstmals zu einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln zugunsten des Bundes. Demnach muss der Bund einem Händler, der auf zwölf Millionen Euro Schadenersatz klagte, nur 258.000 Euro zahlen. Sollte sich dieses Urteil in den weiteren anhängigen Verfahren durchsetzen, könnte Sudhof dem Bund den Weg zu einer Milliardenersparnis bereitet haben.
Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen kritisiert Spahn scharf. "Der ungeschwärzte Bericht zeigt schwarz auf weiß: Spahn hat systematisch gelogen", sagt er. Der Ex-Minister habe wiederholt gesagt, dass er keine Hinweise gehabt habe, die seine damaligen Entscheidungen infrage gestellt hätten. Es seien diese "fein destillierten Unwahrheiten, die Spahn stets verbreiten lässt und die den Eindruck erwecken, als stünde er nicht persönlich in der Verantwortung", so Dahmen.