Haßelmann rechnet mit Merz ab: "Ziemlicher Fehlstart"

Seit anderthalb Wochen ist die Koalition unter Kanzler Friedrich Merz im Amt. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, sagt im Frühstart, was sie vom schwarz-roten Regierungsstart hält. Das Interview bei ntv gerät zur Standpauke.

Aus Sicht von Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann ist der Start der neuen Bundesregierung nicht geglückt. "Ich glaube, dass es ein ziemlicher Fehlstart war, was die Regierung aus Union und SPD da hingelegt hat, wenn man an die letzte Woche denkt", sagte sie im ntv Frühstart. Der Tag der Kanzlerwahl, der 6. Mai, werde vielen in Erinnerung bleiben - der Tag, an dem Friedrich Merz erst im zweiten Wahlgang zum Kanzler gewählt wurde. "Das zeigt mir, dass dieses Regierungsbündnis auf sehr tönernen Füßen steht und Friedrich Merz und auch Lars Klingbeil gefordert sind, ihre Fraktion hinter sich und ihren Vorhaben zu vereinigen - und dass das wirklich mühsam ist", merkte die Grünen-Politikerin an.

Auch über den Wahltag hinaus konnte sie keine positiven Leistungen erkennen. Die Diskussionen über Mindestlohn, Rente und Lieferkettengesetz ließen ihrer Meinung nach nicht erkennen, dass "gleich geliefert" werde. "Ich hatte das ehrlich gesagt nach den Erwartungen und den Ankündigungen nicht gedacht, dass das so kommt. Denn Friedrich Merz hat gesagt: Ab Tag eins wird geliefert! Und das, was wir letzte Woche gesehen haben, passt überhaupt nicht dazu", meinte Haßelmann.

Merz gibt Regierungserklärung im Bundestag ab

An diesem Mittwochmittag stellt Friedrich Merz in seiner ersten Regierungserklärung im Bundestag seine "Agenda 2030" vor. Für Haßelmann sollte darin vor allem eines eine zentrale Rolle spielen: "Wenn es darum geht, jetzt sehr konkret für Wirtschaft, für Unternehmen und Industrie etwas zu tun, dann glaube ich, ist zwingend notwendig, dass jetzt konkret die Umsetzung des Sondervermögens erfolgt." Mit dem Sondervermögen und der Grundgesetzänderung seien Investitionen in Infrastruktur und Klimaneutralität bis 2045 beschlossen worden.

Damit könne man nun ein Investitionsprogramm für die Wirtschaft auf den Weg bringen - etwa für Transformation, den Ausbau erneuerbarer Energien sowie die Sanierung maroder Infrastruktur. "Die Länder und auch die Städte und Gemeinden warten darauf. Davon ist bisher noch nichts zu sehen", kritisierte Haßelmann. "Ich habe die Erwartung: Da wird jetzt konkret an der Umsetzung gearbeitet und Vorschläge geliefert."

Unklare Migrationspolitik und Folgen für die Wirtschaft

Auch mit der Migrationspolitik und der Kommunikation rund um Grenzkontrollen zeigt sich die Grünen-Politikerin unzufrieden. "Wir haben von Bundesinnenminister Dobrindt eine Ankündigung zur Notlage und Artikel 72, den wir für europarechtswidrig halten, gehört. Und wir haben gleichzeitig vom Regierungssprecher gehört: Das wird dementiert. Und das passt alles nicht zusammen", kritisierte Haßelmann. Es gebe viele Widersprüche: "Was ist denn jetzt Lage? Gibt es Grenzschließungen? Gibt es verschärfte Grenzkontrollen? Auf welcher Rechtsgrundlage soll das erfolgen? Das wissen auch die Bundespolizistinnen und -polizisten gar nicht genau", merkte sie an.

Aus ihrer Sicht sendet das ein schwieriges Signal - nicht nur für Europa, sondern auch für den Wirtschaftsverkehr: "Denn wir wissen diesseits und jenseits der Grenzen ist der Lebensalltag von Menschen in den Grenzregionen, was Pendlerinnen und Pendler angeht, was Wirtschaftsverkehr, Güterverkehre angeht, ein ganz anderer. Und das belastet die Wirtschaft enorm. Und hier brauchen wir Klarheit."

Darüber hinaus könne sich eine Regierung keine Situation leisten, in der Nachbarländer wie Österreich, Luxemburg, die Schweiz und Polen Kritik an nationalen Alleingängen übten - sowohl in der Frage von Flucht, Asyl und Migration als auch mit Blick auf Steuerung, Ordnung und Humanität. Es brauche "Klarheit gegenüber der Öffentlichkeit, dem Parlament und vor allen Dingen gemeinsame europäische Lösungen."