Eine Woche nach seiner Weisung an die Bundespolizei zieht Innenminister Dobrindt an der Grenze zu Österreich Bilanz. Die Zahlen sind klein, umso größer das Signal. Jetzt gebe es "wieder Law-and-Order an der Grenze", sagt Ministerpräsident Söder.
Politik ist immer auch ein bisschen Show, und manchmal ist sie das ein bisschen mehr. Gut eine Woche nach seinem Amtsantritt hat Bundesinnenminister Alexander Dobrindt eine Kontrollstelle der Bundespolizei an der Grenze zu Österreich besucht. Mit dabei: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.
Die Rollenverteilung ist wie üblich zwischen den beiden: Dobrindt liefert vor allem Zahlen und Details, Söder ist fürs große Ganze zuständig. Die Situation an der deutschen Grenze sei jetzt "eine grundlegend andere", sagt der Ministerpräsident am Grenzübergang Kiefersfelden, auf einem Rastplatz an der A93. Stattgefunden habe "eine 180-Grad-Wende", das sei ein klares Signal an Europa - Deutschland sei lange der migrationspolitische Bremser in der EU gewesen, jetzt gebe es "wieder Law-and-Order an der Grenze".
Die malerische Kulisse des Inntals wird ein wenig durch Platzregen getrübt, als Söder und Dobrindt vor die Presse treten. Zuvor hatten sich die beiden CSU-Politiker erläutern lassen, wie die Kontrollen organisiert sind. Dobrindt kam in einer Jacke der Bundespolizei, er ist jetzt ja auch ihr Dienstherr.
Während der Innenminister und der Ministerpräsident mit den Bundespolizisten sprechen, wartet ein Peugeot mit italienischem Kennzeichen auf Abfertigung. Die beiden Insassen wundern sich über den Auftrieb: Kameras, Sicherheitsbeamte in zivil, Medienleute. "Ich warte nur darauf, dass Söder gleich selbst eine Zurückweisung vornimmt", witzelt ein Journalist.
Eine Woche nach der Weisung
Kontrollen gibt es hier am Rastplatz Inntal Ost schon länger, aber vor einer Woche hat sich etwas geändert - und das ist es, was Dobrindt vorführen will: An seinem ersten vollen Arbeitstag als Innenminister hatte er die Bundespolizei per Brief an Bundespolizeichef Dieter Romann angewiesen, "ab sofort" Schutzsuchenden die Einreise zu verweigern, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat kommen. Da Deutschland ausschließlich von sicheren Staaten umgeben ist, betrifft diese Weisung alle Personen, die in Deutschland ein Asylgesuch stellen wollen.
Jedenfalls im Prinzip: "Erkennbar vulnerable Personen" könnten weiterhin ins Land gelassen werden, schrieb Dobrindt. Das Problem: Das Bundesinnenministerium hat bislang nicht definiert, wer zu dieser Gruppe gehört. "Ich hätte mich nicht wohlgefühlt mit Weisungen, von denen ich nicht sicher bin, sind sie jetzt rechtens oder nicht", kritisierte Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic am Mittwoch - Mihalic ist Polizistin. Das zweite Problem: Die Bundespolizei kann nur dann eine Person an der Grenze zurückweisen, wenn das Nachbarland, aus dem sie einreisen will, mitspielt.
Die Frage der Abstimmung ist ungeklärt
Mit seiner Weisung vom 7. Mai hat Dobrindt das Wahlversprechen eines "faktischen Einreiseverbots" umgesetzt, das CDU-Chef Friedrich Merz im Januar gegeben hatte. Die SPD hatte einen solchen Schritt im Wahlkampf noch als europarechtswidrig abgelehnt. Für ihren Koalitionsvertrag einigten sich Union und SPD auf den Kompromiss, dass Zurückweisungen "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn" vorgenommen werden sollen.
Nur: Was bedeutet "Abstimmung" konkret? Polen beispielsweise, wo derzeit ein Präsidentschaftswahlkampf läuft, ist gar nicht angetan von der Vorstellung, dass Deutschland Schutzsuchende zurückschickt. Zumindest in Einzelfällen hat der östliche Nachbar die Rücknahme von Asylbewerbern bereits verweigert.
Die Zahlen sind klein - es geht ums Symbol
Darauf angesprochen, wiegelt Dobrindt ab. "Wir sind im Gespräch mit unseren Partnern und Nachbarn", sagt er. Mit den polnischen Grenzbehörden habe es bei den konkreten Fällen "überhaupt keine Schwierigkeiten" gegeben, die Frage sei von den deutschen Bundespolizisten an der Grenze "klug gelöst" worden. Die zwei Afghanen, die Polen nicht zurücknehmen wollte, wurden an die zuständigen Stellen in Deutschland überstellt.
Durch solche Einzelfälle will sich Dobrindt seinen Erfolg nicht kaputtreden lassen. Seine Zahlen: In den sieben Tagen seit seiner Weisung habe es eine "deutliche Steigerung" der Zurückweisungen um 45 Prozent gegeben. 739 Versuche der "illegalen Einreise" seien zurückgewiesen worden, in der Woche davor seien es nur 511 gewesen. Zudem seien in der vergangenen Woche zwar 51 Asylgesuche gestellt worden, aber 32 mal seien die Personen zurückgewiesen worden. In der Vorwoche habe es 44 Asylgesuche gegeben - alle durften nach Deutschland einreisen, denn da gab es Dobrindts Anweisung ja noch nicht.
Die Zahlen beziehen sich nicht auf den Grenzübergang Kiefersfelden, sondern auf ganz Deutschland. Auch Dobrindt betont daher, dass es um ein Signal geht - an die Welt, dass sich die Migrationspolitik in Deutschland geändert habe, aber vor allem an die Schleuser. Dieses Signal müsse weiterhin "in aller Deutlichkeit" umgesetzt werden.
An der Grenze zu Österreich wird bereits seit 2015 stichprobenartig kontrolliert - Dobrindt hatte die Kontrollen mit seiner Anweisung nicht eingeführt, aber ausgeweitet. Offen bleibt bei diesem Termin, wie lange die Bundespolizei das gewünschte Signal setzen kann. Dobrindt sagt, das Ziel müsse sein, dass die Kontrollen wieder entfallen, indem "das Migrationsgeschehen an die Außengrenzen der Europäischen Union verlagert" wird. Söder dagegen sagt, der Schutz der Grenze bleibe "immer eine Aufgabe, die jedes Land selbst zu erfüllen hat".
Die Frage ist, wie lange die Bundespolizei die verstärkten Kontrollen durchhält. Kanzleramtschef Thorsten Frei räumte am Mittwoch ein, dass die Grenzkontrollen eine "massive Herausforderung" für die Bundespolizei seien. Rund 3000 zusätzliche Polizistinnen und Polizisten wurden dafür an die Grenzen geschickt. "In alle Ewigkeit" könnten die Kontrollen nicht fortgesetzt werden, so der CDU-Politiker im Bundestag. Die Gewerkschaft der Polizei geht davon aus, dass dies "einige Wochen" möglich ist, maximal "ganz wenige Monate", wie GdP-Chef Andreas Roßkopf am Donnerstag in einer Runde mit Journalisten sagt.
Juristisch sind viele Fragen offen
Es gibt noch mehr ungeklärte Punkte, was daran liegt, dass Migrationspolitik politisch immer umstritten und juristisch hochkomplex ist. So ist unklar, ob die Bundesregierung im Fall einer Klage mit ihrem Vorgehen vor dem Europäischen Gerichtshof durchkommen würde. Zwischen Experten ist umstritten, ob EU-Recht die Zurückweisung von Asylsuchenden so ohne Weiteres erlaubt. Die Dublin-Regeln legen zwar fest, dass das Land für ein Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Flüchtling die Europäische Union zuerst erreicht.
Aber eigentlich muss Deutschland in einem offiziellen Verfahren feststellen, welches Land für den Schutzsuchenden zuständig ist. Österreich? Eher nicht, auch der südliche Nachbar ist schließlich nur von sicheren Drittstaaten umgeben. Polen? Vielleicht, aber ein Migrant, der von dort nach Deutschland einreist, kann die EU trotzdem über Griechenland oder Italien erreicht haben. Es gebe "keine Garantie, dass die Gerichte die Zurückweisungen akzeptieren werden", schreibt der Migrationsrechtler Daniel Thym in einer Analyse für das Fachportal "Legal Tribune Online". "Die Ministerweisung ist der Auftakt; das letzte Wort haben die Gerichte." Das kann dauern.
Die Zahlen sinken
Trotz des Regens ist der Zeitpunkt für Dobrindts Besuch an der Grenzkontrollstelle Kiefersfelden gut gewählt. Am Mittwoch hatte die europäische Grenzbehörde Frontex mitgeteilt, dass in den ersten vier Monaten des Jahres deutlich weniger irreguläre Grenzübertritte registriert wurden als im Vorjahreszeitraum. Die Gesamtzahl sank um knapp 30 Prozent auf rund 47.000. Der prozentual stärkste Rückgang wurde auf der Westbalkanroute verzeichnet - das betrifft vor allem die deutsch-österreichische Grenze.
Der Peugeot aus Italien darf irgendwann weiterfahren - die Papiere, deren Kontrolle so lange gedauert hat, waren offenbar in Ordnung. Dobrindt kündigt noch an, dass der Familiennachzug für subsidiär Geschützte demnächst ausgesetzt werden soll. Das können etwa Kriegsflüchtlinge sein, die kein individuelles Asyl als Verfolgte bekommen, aber Schutz, weil ihnen im Herkunftsland ernste Gefahren drohen. Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien fallen darunter. Söder fordert, nicht nur den Zugang zu reduzieren, sondern auch "den Abgang zu verstärken". Auch das werde angegangen. Wie sagte Söder? "Wir machen jetzt Ernst."