"Hello Donald, may I call you in two minutes?"

Der Istanbul-Donnerstag würde gar nichts bringen, das war schon vorher klar. Doch diese Woche zeigt auch: Wenn Europäer mit einer Stimme sprechen und dann noch Trump um 6 Uhr aus dem Bett klingeln, kommt erstmals Bewegung in die Sache.

"Hello, Donald! May I call you in two minutes with Selenskyj?" Um den Präsidenten der Vereinigten Staaten am Wochenende früh um 6 Uhr aus dem Bett zu klingeln, muss man einigermaßen gute Gründe haben. Emmanuel Macron findet letzten Samstag, er hat einen. Sitzt er doch gerade umringt von weiteren vier europäischen Staatslenkern an einem Wohnzimmertisch im Kiewer Präsidentenpalast - im Begriff, eine recht breitbeinige Botschaft an Kreml-Chef Wladimir Putin zu senden. Genau genommen die breitbeinigste seit Beginn der russischen Vollinvasion vor mehr als drei Jahren.

"I call you back with the others"

"Kann ich dich in zwei Minuten mit Selenskyj anrufen?", fragt Macron am Telefon. Der Zwei-Minuten-Slot würde zwar nicht reichen, um kurz im Weißen Haus unter die Dusche zu springen. Aber einmal den Kopf unter kaltes Wasser, bevor man in der Weltpolitik einen weitreichenden Schritt unternimmt - das wollen die Europäer Trump wohl zugestehen. Es soll nicht wie eine Überrumpelung wirken. Man weiß ja auch gar nicht, bis wann er letzte Nacht Fox News geschaut hat.

Damit Trump sich darauf einstellen kann, worum es im zweiten Anruf gehen soll, gibt Macron ihm schon mal einen kurzen Abriss: Selenskyj "accepted what you proposed in your message", sagt der Franzose, "meaning a ceasefire for 30 days and so on. So, he is ready to announce it." Das sind gute Neuigkeiten für Trump, auf den die Idee zur 30-Tage-Waffenruhe zurückgeht. Selenskyj ist also dabei und will verkünden. "I call you back in two minutes with the others. I call you back", so endet das Original-Audio Kiew-Washington, veröffentlicht vom französischen Präsidialamt.

Wie genau Anruf Nummer zwei dann abläuft, darüber dringt nichts nach außen. Die Mission ist heikel. Die fünf am Tisch - mit Macron sitzen dort der deutsche Kanzler Friedrich Merz, der britische Regierungschef Keir Starmer, der Pole Donald Tusk und Wolodymyr Selenskyj für die Ukraine - wollen eben nicht nur informieren, dass Selenskyj zu 30 Tagen Waffenruhe bereit wäre. Sie wollen vor allem Trump dafür gewinnen, aus einem Waffenruhe-Angebot an Putin eine Waffenruhe-Forderung zu machen. Unter Androhung von deutlich mehr Druck, sollte der russische Präsident der Forderung nicht entsprechen.

Getrieben ist das Ansinnen der fünf von zwei Motiven: Zum einen empfindet Putin keinen Europäer als ebenbürtiges Gegenüber in Fragen der geopolitischen Ordnung. Trump: ja, Xi Jinping: na klar, aber aus Europa kann ihm nach eigenem Empfinden niemand was. Zum anderen hat Trump die wesentlich potenteren Mittel an der Hand. Die Bedeutung des US-Dollars für die Weltwirtschaft liegt deutlich über der des Euros. Zudem betreiben die USA eine viel rigorosere Sanktionspolitik.

Angst vor der US-Keule

Sie scheuen sich nicht, auch gegen Firmen in Drittländern vorzugehen, wenn diese etwa mit einem von den USA sanktionierten Unternehmen Geschäfte machen. So kann es passieren, dass durch eine amerikanische Sanktion Handelsbeziehungen mit Firmen aus China oder Indien gleich mit wegfallen, weil die dortigen Unternehmen aus Angst vor der US-Keule lieber verzichten. Die EU wendet solche Sekundärsanktionen nicht an und schwächt damit den Effekt ihrer eigenen Strafmaßnahmen. Kriegen die Europäer also Trump mit ins Boot, so hebt das ihre Durchschlagskraft um einiges.

Bislang hat der US-Präsident in öffentlichen Äußerungen immer wieder mehr Sympathie für das Agieren des russischen Aggressors geäußert als für Selenskyjs Verteidigungsposition. Doch den Europäern gelingt, was bislang noch nicht geglückt war: eine gemeinsame Forderung führender europäischer Länder und der USA, dass auch Russland einen Schritt Richtung Frieden machen muss. Untermauert mit der Androhung stärkerer Sanktionen gegen Moskau sowie stärkerer Militärhilfe für Kiew. Ball im russischen Feld.

Die Einigkeit unter den westlichen Ukraine-Unterstützern - sie allein ist schon eine Nachricht und verbreitet zusammen mit dem Wohnzimmer-Schnappschuss eine gewisse Aufbruchstimmung. Ein winziges bisschen Zuversicht, dass Frieden denkbar wäre, wohl erstmals seit Februar 2022. "Ich glaube", sagte Friedrich Merz in der ARD, "es gibt jetzt eine kleine Chance".

Wie klein die Chance tatsächlich ist, offenbarte sich am Donnerstag in Istanbul. Putin war nicht auf die Forderung nach Waffenruhe eingegangen. Seinen Sprecher Dmitri Peskow ließ er mitteilen, die "Sprache von Ultimaten" sei im Umgang mit Russland "nicht angemessen". Statt Waffenruhe schlug der Präsident selbst direkte Verhandlungen mit der Ukraine vor - ab Donnerstag in der Türkei. Die kamen zunächst nicht mal zustande und wurden auf Freitag vertagt.

"Ohne Vorbedingungen"

Unterhändler kommen nun also in Istanbul heute zusammen, und was für Putin "ohne Vorbedingungen" heißt, machte er schon im Vorfeld deutlich. Zum einen wird währenddessen weiter geschossen. Schon gestern, auch heute, gebombt und getötet. Eine Situation, die für Friedensverhandlungen inakzeptabel ist. Erst schweigen die Waffen, dann wird gesprochen, so ist die Reihenfolge. Nur nicht bei Putin. Zum anderen will der Russe die Gespräche an dem Punkt ansetzen lassen, wo sie im Frühjahr 2022, ebenfalls in Istanbul, abgebrochen wurden.

Zur Erinnerung: Damals forderte die russische Seite, die aus Moskauer Hardlinern der dritten Reihe bestand, unter anderem einen Verzicht Kiews auf potente eigene Streitkräfte. Die eigene Armee sollte die Ukraine weitgehend auflösen, es sollten nur noch Polizeikräfte im Dienst stehen. Stattdessen sollten die Ukrainer die Anwesenheit russischer Soldaten auf eigenem Territorium dulden. Die russische Seite nannte das "Neutralität".

Zudem verlangten die Kreml-Vertreter, die Ukraine müsse nicht nur auf einen Nato-Beitritt, sondern auf jeglichen Kontakt mit westlichen Militärs verzichten. "Sowohl gemeinsame Übungen als auch der Einkauf von militärischen Systemen wären unterbunden worden", erinnert sich der österreichische Militärexperte Gustav Gressel. "Putin wollte nicht Neutralität, wie sie Finnland oder Österreich im Kalten Krieg hatten. Er verlangte totale Isolation und Wehrlosigkeit." Die "Neutralität" im Putinschen Sinne hätte die Ukraine dem Kreml wehrlos ausgeliefert.

Neutralität heißt auf Russisch Kapitulation

So erhebt also Putin auch 2025 eine Forderung zur Grundlage der Friedens-Gespräche, die von Selenskyj nichts anderes verlangt als Kapitulation. Zudem will er nach eigener Aussage "die Ursachen des Konflikts" beseitigen. Auch eine Formulierung, die der Kreml-Chef seit Jahren bemüht. Im Detail sieht der russische Präsident als Konfliktursache vor allem, dass in der Ukraine nach seiner Darstellung ein illegitimes Nazi-Regime regiert und das Land dringend "entnazifiziert" werden muss. Sprich: Es braucht eine neue Regierung nach Putins Gnaden, wie etwa das Lukaschenko-Regime in Belarus.

Der ukrainische Präsident war in einem geschickten Schachzug und einer Aufforderung Donald Trumps folgend am Donnerstag selbst in die Türkei gereist. Er zeigte damit nachdrücklich, dass er zu Friedensgesprächen bereit ist. Trump, zu Besuch in den Golfstaaten, hätte nun Musik in die Sache bringen können, wenn er Putin persönlich nach Istanbul eingeladen hätte und auch selbst dorthin gereist wäre. Als kleiner Abstecher auf dem Rückweg von Abu Dhabi gewissermaßen. Doch das fand und findet wohl nicht statt.

Doch selbst wenn die Istanbuler Gespräche vermutlich im Sand verlaufen oder abgebrochen werden: Der westliche Auftritt, die Einigkeit, die Entschlossenheit haben auf den russischen Präsidenten durchaus gewirkt. Noch am selben Tag der Waffenruhe-Forderung reagierte Putin öffentlich. Von Moskauer Beobachtern heißt es, der Kreml-Chef sei überrascht und durchaus verstimmt gewesen. Europäischer Zusammenhalt - das kann ihm nicht gefallen.

Das ist nicht nichts, aber nicht das, was erreicht werden sollte. Entscheidend wird die Frage sein, ob die Europäer den Schwung des letzten Wochenendes auch auf die lange Strecke beibehalten. Am heutigen Freitag sehen sie sich alle bereits wieder - zum Europäischen Gipfel im albanischen Tirana. Der Brite Keir Starmer wurde vorher schon deutlich: "Wenn Russland nicht an den Verhandlungstisch kommen will, muss Putin den Preis dafür zahlen", erklärte er am Morgen. "Putins Taktik, zu zögern und aufzuschieben", sei unerträglich.

Klingt so, als hätten die Europäer an ihrer neuen, gemeinsamen Front gegen Russland Gefallen gefunden. Und wären bereit, ihren Drohungen nun auch Taten folgen zu lassen. Um Putin wirklich zu bedrängen, wären härteste Sanktionen ein Mittel, möglichst mit den USA. Doch bis die wirken, vergeht viel Zeit. Schnelle Waffen- und Finanzhilfe macht sich früher bemerkbar und dort, wo es den Kreml am meisten schmerzt: auf dem Schlachtfeld. Ein Sofa-Eckchen für das Schmieden der nächsten Pläne wird auch in Tirana zu finden sein.