Es ist ein historischer Tag. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik braucht ein Kanzler zwei Wahlgänge, um gewählt zu werden. Sandra Maischberger hat zwei Experten eingeladen, um das Ereignis zu bewerten. Eine davon, Bundestagspräsidentin Klöckner, war hautnah dabei.
Die neue Bundesregierung hat begonnen, wie die alte geendet hat: chaotisch. Friedrich Merz wird am Dienstag zum neuen Bundeskanzler gewählt. Doch erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik erst im zweiten Wahlgang. Beobachter reden von einem "Merz-Debakel", sehen einen geschwächten Kanzler. Merz selbst spricht von einem "ehrlichen Tag". Die neue Koalition sei nun noch stärker geworden. Doch er weiß auch: Bei der Abstimmung über neue Gesetze darf so etwas wie bei seiner Wahl nicht noch einmal passieren.
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat den Wahltag hautnah erlebt. Sie ist Gast bei Sandra Maischberger. Als sie das Ergebnis des ersten, gescheiterten Wahlgangs begreift, weiß sie: Da läuft etwas nicht nach Plan. Ihr erster Gedanke: "Nerven behalten und bewahren." Sie sagt: "Demokratie besteht aus Prozessen und aus verschiedenen Regeln. Mir war klar, dass es jetzt zu einer Sitzungsunterbrechung kommen muss. Mir waren die Regeln auch klar: Wenn man nicht abweicht von den Regeln, könnte dann erst in drei Tagen gewählt werden, es sei denn, die Fraktionen einigen sich auf das Abweichen dieser Geschäftsordnung, mit einer Zweidrittelmehrheit. Und das ist genau die Herausforderung gewesen."
Ob es ein Fehlstart war, möchte Moderatorin Maischberger von der Bundestagspräsidentin wissen, die der CDU angehört. "Es war so nicht geplant", gibt sie zu. Von einem wirklichen Fehlstart will sie jedoch nicht sprechen. "Wir haben jetzt einen gewählten Kanzler. Dass das nicht optimal war, ist offensichtlich. Aber ein Parlament hat gezeigt, dass es stabil ist. Und dass die Demokratie Regeln hat, die sich bewährt haben, dass man zu einem Ergebnis kommt."
Keine Spekulation über Abweichler
Wer die Abweichler waren, die Merz im ersten Wahlgang nicht gewählt haben, weiß sie nicht. Will sie auch nicht wissen, sagt sie. "Am Ende ist es eine geheime Wahl, und für eine Bundestagspräsidentin verbieten sich Spekulationen." Erleichtert sei sie jedoch darüber, dass sich alle demokratischen Fraktionen zusammengefunden haben, um eine politische Lösung für einen zweiten Wahlgang noch am Dienstag zu beschließen. Auch die Linken, mit denen die Union einen Unvereinbarkeitsbeschluss hat. Ob die Union darüber erneut reden sollte, will Klöckner nicht sagen. "Ich bin als Bundestagspräsidentin hier."
Klöckner hat ihr Amt an diesem Tag sehr souverän wahrgenommen. Da sind sich alle Beobachter einig. Ebenso souverän ist sie auch als Gast bei Maischberger. Sie ist Präsidentin des Bundestages, muss über den Parteien stehen, neutral sein. Das gelingt ihr glänzend. Klöckner lässt sich auch von sehr geschickt gestellten Fragen aus ihrer Rolle nicht hinausdrängen. Und Maischberger macht es ihr wirklich nicht leicht.
SPD-Politiker Schulz war schockiert
Auch Martin Schulz sitzt bei Maischberger. Er ist bei den Wahlen 2017 krachend gescheitert als Kanzlerkandidat der SPD. Jetzt ist er Präsident der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Dass der erste Wahlgang gescheitert ist, habe er dramatisch gefunden, sagt er bei Maischberger. "Dass da 18 Leute Nein sagen, hat mich schockiert." Für die demokratische Mitte seien die Vorgänge ein alarmierender Zustand. Von einer echten Staatskrise möchte er aber nicht sprechen. Die hätte es gegeben, wenn Merz auch im zweiten Wahlgang nicht die nötigen Stimmen erreicht hätte. "Aus meiner Sicht war das so, dass es eine Reihe Abgeordnete gab, die aus welchen Gründen auch immer gesagt haben, dem verpasse ich jetzt noch mal eine, und dann soll er regieren, aber er soll wissen: So leicht wird das nicht", sagt Schulz.
Er ist sich sicher, dass zu den Abweichlern keine Abgeordneten der SPD gehören. "Ich glaube, dass es in der CDU eine Reihe von Abgeordneten gab, die Merz sein Umfallen in der Schuldenbremsenfrage nicht verziehen haben, und es gibt vielleicht auch ein paar in der Union, die mehr bei der AfD sind, als wir das vielleicht wünschen, und die Merz auf dem Weg mitgeben wollten: Du musst immer mit uns kalkulieren." An diesem Mittwoch reist Merz in seiner neuen Funktion zum ersten Mal ins Ausland, nach Warschau und Paris. Schulz geht davon aus, dass Merz die Achse Frankreich - Deutschland wiederbeleben wird.
Ob er ein besserer Kanzler sein werde als Olaf Scholz, fragt Maischberger. Da ist sie jedoch bei dem ehemaligen SPD-Chef Schulz genau an den Falschen geraten. "Das ergibt sich schon aus seiner Mitgliedschaft in der CDU, dass er nicht der bessere Kanzler sein kann", sagt er und grinst. Aber: "Ich hoffe im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, dass er ein guter Kanzler wird, der eins kapiert: Die überwiegende Mehrheit in unserem Lande, auch am heutigen Tage, wo das Berliner Milieu geschockt war, muss morgen zur Arbeit gehen, muss darüber nachdenken, ob die Kinder einen Kita-Platz haben, ob die Oma die Pflegestelle bekommt, die sie braucht, ob die Miete bezahlbar ist, ob der Mindestlohn kommt, ob die Rente ausreicht. Die Probleme müssen wir anpacken, selbst wenn der Kanzler erst im zweiten Wahlgang gewählt worden ist."