Der Mann, der den Weltraumschrott überwacht

Kommunikation, Erdbeobachtung, Wettervorhersagen: Satelliten erledigen vielfältige Aufgaben. Doch es werden immer mehr und das könnte zu einer zerstörerischen Kettenreaktion führen. Ein Fachmann studiert die möglichen Konsequenzen von einer Sternwarte in Süditalien aus.

Menschen haben nicht nur die Erde in weiten Teilen zu einer Mülldeponie gemacht, sondern sind dabei, auch das Weltall zuzumüllen. Und wer weiß, vielleicht verschließt dieser Müll der Menschheit schon in ein paar Jahren den Blick auf die Sterne.

Bloße Übertreibung? Nicht wirklich. Bis heute wurden 44.700 Schrottgegenstände im Weltall katalogisiert. Analysen der Europäischen Weltraumorganisation ESA zufolge könnten es aber mittlerweile bis zu 140 Millionen Gegenstände sein, die über unseren Köpfen ihre Bahnen um die Erde drehen.

Was zählt überhaupt zum Weltraumschrott?

"Weltraumschrott definiert sich dadurch, dass es alte Satelliten gibt, die außer Kontrolle geraten sind. Es können aber auch nur Fragmente sein, entstanden infolge einer Kollision mit einem anderen künstlichen Flugkörper", erklärt der Astronom Sergei Schmalz ntv.de. Er ist 47 Jahre alt und arbeitet seit September 2017 an der Sternwarte von Castelgrande, einer kleinen Gemeinde in der süditalienischen Region Basilikata.

"Hier und da kann es auch vorkommen, dass dieser Schrott mit einem aktiven Satelliten kollidiert. Und das kann mittlerweile bis zu dreimal im Jahr passieren", fährt er fort. Ein solcher Zusammenprall könne zu technischen Störungen führen, zum Beispiel bei einem Kommunikationssystem.

Da wir immer mehr von den Dienstleistungen dieser Satelliten abhängig sind - neben der Kommunikation werden sie auch in der Navigation und Meteorologie eingesetzt - erhöht sich die Gefahr von Kollisionen und darauffolgenden Störungen oder gar Unterbrechungen dieser Dienste. Außerdem vermehrt sich bei jeder Kollision die Zahl der Trümmer und damit auch der Müll im All.

Deswegen ist denkbar, dass der Mensch eines Tages auch das All mit seinem Müll überlasten wird. "Das nennt man das Kessler-Syndrom", erklärt Schmalz. "Das ist die Situation, in der wir das Weltall, das der Erde am nächsten ist, wegen einer zu hohen Konzentration von Weltraumschrott nicht mehr nutzen werden können."

Spät entdeckte Leidenschaft

Die Leidenschaft für diese Materie, die erst seit einem knappen Jahrhundert erforscht wird, hat Schmalz erst mit 33 Jahren entdeckt. Und es war ein weiter und alles andere als linearer Weg, der ihn zur Astronomie und nach Castelgrande geführt hat.

Geboren wurde Schmalz im sibirischen Krasnojarsk. Aufgewachsen ist er aber bis zu seinem 16. Lebensjahr auf der Halbinsel Kamtschatka. Danach zog er mit seiner Familie nach Deutschland, sein Vater war deutscher Abstammung.

Ursprünglich hatte er sich für Indologie entschieden und studierte an der Uni-Mainz. Die Einführung einer Studiengebühr machte ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung. Er konnte sich das Studium nicht mehr leisten und musste sich umorientieren.

"Zum Glück bin ich sehr neugierig", fährt er fort. "Und da ich mir ein 20-Zentimeter-Teleskop angeschafft hatte, begann ich von meinem Balkon in Wiesbaden aus, die Welt der Astronomie für mich zu entdecken."

Ein Richtungswechsel, der immer wieder von glücklichen Fügungen begleitet wurde. Während seiner Balkonerkundungen knüpfte er Kontakte zu deutschen und russischen Astronomen. Als besonders wichtig erwies sich die Bekanntschaft mit dem in Potsdam tätigen Astrophysiker Rainer Arlt.

Wie Kollisionen vermieden werden können

Schmalz hatte mittlerweile beschlossen, Astrophysiker zu werden und Arlt empfahl ihm, an einer Ausschreibung des Astrophysikalischen Instituts Potsdam teilzunehmen. Und so kam es, dass er von 2012 bis 2015 als technischer Assistent an einem Projekt dieses Instituts arbeitete. Es ging um die Digitalisierung alter Fotoplatten der Potsdamer Sternwarte.

Parallel dazu studierte er Astrophysik an der Technischen Universität Berlin. 2015 lief der Vertrag in Potsdam aus, doch schon kurz danach machten ihn Kollegen aus dem Moskauer Keldysch-Institut für Angewandte Mathematik darauf aufmerksam, dass an der Sternwarte von Castelgrande im Rahmen des Projekts GastelCauss eine Stelle frei war. Das Projekt studiert Abbruchmaterialien im Weltall. Und so kam er nach Italien.

Eine nie endende Arbeit

Schmalz und seine Kollegen weltweit messen alles, was das Gesichtsfeld des Teleskops durchquert und das Sonnenlicht widerspiegelt. So können die Umlaufbahnen bestimmt und diese dann katalogisiert werden. "Da sich die Bahnen, die der Weltraummüll zieht, wegen des Gravitationseinflusses der Erde, des Mondes und der Sonne und durch den Sonnenwind-Druck ändern können, heißt es, diese konstant zu aktualisieren. Wir reden da von einer niemals endenden Arbeit", hebt der Experte hervor.

Aber sie ist wichtig, weil man den Satelliten-Betreiber rechtzeitig über eine gefährliche Annäherung zwischen einem aktiven Satelliten und Weltraumschrott informieren kann. Der hat dann die Möglichkeit, den Satelliten zu manövrieren und so einen Zusammenprall zu verhindern.

Zu Schmalz' Auftraggebern zählen das römische Unternehmen Gauss Srl, das zusammen mit den Moskauer Kollegen das Projekt CastelGauss weiterführt. Auch mit der ESA arbeitet er zusammen und mit einer Reihe privater Unternehmen in der ganzen Welt.

Regulierung für Weltraumschrott fehlt

Die in das All gebrachten Flugkörper funktionieren nicht ewig, auch sie müssen erneuert werden. "Satelliten, die sich in der sogenannten niedrigen Erdumlaufbahn befinden, also in einer Höhe von 200 bis 2000 Kilometern, funktionieren im Durchschnitt drei bis sieben Jahre", sagt Schmalz. Diese kann man zum Ende ihrer Mission, bevor sie außer Kontrolle geraten, gezielt in der Erdatmosphäre verglühen lassen, "aber nur, wenn sie noch über genügend Treibstoff verfügen und steuerbar sind", fügt er hinzu. Ansonsten geraten sie irgendwann außer Kontrolle, können mit anderen Teilen kollidieren und zu neuen Trümmern werden.

Den aktuellen Schätzungen der ESA zufolge wird es im Jahr 2075 zwischen 20 und 30 Kollisionen im Jahr geben, wenn bis dahin nichts mehr in die Erdumlaufbahn gebracht wird. Bleibt die Zahl der Satellitenstarts jedoch auf dem gegenwärtigen Niveau, dann sind 2075 bis zu 120 Kollisionen jährlich möglich.

Gegenwärtig gibt es keine Gesetze, weder auf nationaler noch internationaler Ebene, die die Entsorgung der Satelliten regelt. "Da muss wahrscheinlich erst etwas wirklich Schlimmes geschehen, damit Maßnahmen getroffen werden", sagt Schmalz und hofft, dass es nicht so weit kommen wird.