Merkur gibt Forschern lange Rätsel auf: Sein Aufbau unterscheidet sich von den anderen Gesteinsplaneten im Sonnensystem. Eine Simulation von Tübinger Forschern versucht, die Entstehung nachzustellen. Am wahrscheinlichsten ist demnach eine gigantische Kollision.
Merkur, der kleinste der Gesteinsplaneten des Sonnensystems, gibt Forschern lange Zeit Rätsel auf. Denn trotz seiner geringen Größe besitzt er einen gewaltigen Kern aus Eisen. Mit den traditionellen Theorien zur Planetenbildung ist das nicht zu erklären. Ein internationales Team unter Beteiligung von Forschenden der Universität Tübingen hat jedoch einen neuen Ansatz entwickelt.
Merkur weist im Gegensatz zu den anderen Gesteinsplaneten Venus, Erde und Mars noch weitere Besonderheiten auf: Neben dem großen, festen Eisenkern besitzt er auch einen flüssigen äußeren Kern, der aus Eisen, Schwefel und Silikaten besteht. Seine Kruste aus Silikatgestein ist zudem nur zehn Kilometer dick.
Streifkollision zweier Planeten-Vorgänger?
Um diese ungewöhnliche Zusammensetzung zu erklären, ging man bisher davon aus, dass Merkurs jetzige Form durch den gewaltigen Einschlag eines kleineren Himmelskörpers entstanden sei. Kollisionen dieser Art sind jedoch extrem selten.
Mithilfe neuer Simulationen konnte das Forscherteam nachweisen, dass die ungewöhnliche Struktur des Merkur möglicherweise auf ein deutlich häufigeres Ereignis zurückzuführen ist: eine gigantische Streifkollision zwischen zwei Protoplaneten, riesigen, noch ungeformten Gesteinsklumpen ähnlicher Größe im frühen Sonnensystem. Die entsprechende Studie wurde im Fachmagazin "Nature Astronomy" veröffentlicht.
Rieseneinschläge Hauptgrund für Planetenbildung?
Bei ihren Simulationen variierten die Forschenden den Aufprallwinkel und die Geschwindigkeit der Kollisionen. Wenn dabei die Kollision gerade stark genug war, um den Großteil des Mantels abzutrennen, entstand ein Körper, der Merkurs charakteristisch geringe Größe und sein metallreiches Inneres aufwies. "Die Arbeit bestärkt die Idee, dass Rieseneinschläge nicht nur Teil der Planetenbildung sind - sie könnten sogar der Hauptfaktor sein, der die endgültige Struktur der Gesteinsplaneten im Sonnensystem geformt hat", sagt Hauptautor Patrick Franco.
Die Streifkollision wurde mit einem speziellen Computerprogramm simuliert, das in der Abteilung Computational Physics am Institut für Astronomie und Astrophysik der Universität Tübingen entwickelt wurde. "Moderne High-Performance-Computing-Architekturen, wie wir sie hier in Tübingen für unsere Forschung zur Verfügung haben, machen die Entwicklung und Verwendung unseres Programmcodes erst möglich", sagt Christoph Schäfer. Simulationen, die vorher Monate in Anspruch genommen haben, seien damit in wenigen Tagen möglich. "So konnten die Kollegen mithilfe unseres Codes in kurzer Zeit viele verschiedene Parameter simulieren."