Kann man Stau im Vorfeld verhindern?

Mit der Sommerferienzeit kommt auch der Stau: Reisende müssen auf den meisten Strecken mehr Zeit einplanen. Doch kann man Stau nicht schon bei der Planung von Straßen und Autobahnen verhindern? Ein Verkehrswissenschaftler spricht mit ntv.de über mögliche Anti-Stau-Maßnahmen.

Ob in die Berge, ans Meer oder zur Verwandtschaft, Ferienzeit ist Reisezeit - und das immer noch meist mit dem Auto. Wenn viele Menschen in die gleiche Richtung reisen, verstopfen die Straßen und es bilden sich - wie es dann im Radio heißt - "Stau und stockender Verkehr". Doch kann man Stau grundsätzlich verhindern? Welche Maßnahmen helfen und ob man selbst überhaupt etwas tun kann, um Stau zu vermeiden, erklärt ein Verkehrswissenschaftler ntv.de.

"Es wäre leider völlig unökonomisch, Straßen zu bauen, auf denen es keinen Stau gibt", erklärt Gernot Liedtke, kommissarischer Direktor des Instituts für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). "Dann hätten wir eine staufreie Welt mit sehr hohen Infrastrukturkosten." Damit alle jederzeit ungehemmt fahren können, ohne jemals in einen Stau zu kommen, müssten nicht nur Ampeln und Baustellen überall vermieden, sondern auch alle Unfälle sofort beseitigt werden.

Um aber Stau wirklich zu vermeiden, muss man erst einmal verstehen, wie er überhaupt entsteht und was Stau eigentlich ist. "Aus verkehrsökonomischer Sicht ist Stau alles, was eine Reise länger macht, als frei um 3 Uhr nachts unterwegs zu sein", so Liedtke. Experten sprechen dann vom Übergang von frei fließendem Verkehr zu sogenanntem teilgebundenen und gebundenen Verkehr.

Drei Typen von Stau

Frei fließender Verkehr bedeutet, dass alle im Rahmen der Geschwindigkeitsbegrenzung so schnell fahren können, wie sie wollen. Wenn mehr Autos dazu kommen, entstehen auch mehr Interaktionen wie zum Beispiel Überholmanöver. Dann kann zumindest zeitweise nicht mehr Wunschgeschwindigkeit gefahren werden. "Wenn es dann noch mehr wird, kommt irgendwann der Stau aus dem Nichts und es entsteht ein Stop-and-Go-Verkehr, der Stauwellen über die Autobahn sendet", erläutert Liedtke.

Verkehrsforschende unterscheiden dabei je nach Entstehungsprozess zwischen drei verschiedenen Stautypen:

  • Stautyp eins: Entsteht durch zu hohes Verkehrsaufkommen an einer Stelle, zum Beispiel wenn an einem schönen Sommerwochenende alle von der Großstadt ans Meer wollen.
  • Stautyp zwei: Der sogenannte Engpassstau, der an Stellen entsteht, die den Verkehrsfluss stören, wie etwa Spurverengungen oder Ampeln. Aber auch wenn Pendler morgens in die Stadt hineinfahren und die Straßenkapazität kleiner ist als die Nachfrage, bildet sich ein Rückstau.
  • Stautyp drei: Ein Stau bildet sich durch spontan entstehende lokale Störungen wie Unfälle oder Tempodrosselungen.

Durch die unterschiedlichen Entstehungsprozesse der Stautypen gibt es natürlich auch verschiedene Strategien zur Vermeidung. Am einfachsten sei es theoretisch, so Liedtke, Staus zu vermeiden, die durch Unfälle verursacht werden (Stautyp drei), fast ein Drittel der Fälle. "Sicherheit erhöhen, Tempolimits einführen, wo es nötig ist, oder Unfallschwerpunkte sichern und mit Warnlichtern warnen", fasst Liedtke das Arsenal der Verkehrsplanenden zusammen.

Baustellen besser koordinieren

Auch an Engpässen (Stautyp zwei) könne man oft mit relativ wenig Aufwand Stau vermeiden, meint der Verkehrsexperte. Bei einer Ampel in einem kleinen Dorf, durch das eine Bundesstraße führt, könne man zum Beispiel eine Unterführung bauen oder einen Kreisverkehr. "Das sind kleine lokale Investitionen, die Stau rund zehn Kilometer um den Engpass herum vermeiden können."

Auch Baustellenmanagement ist laut Liedtke ein wichtiges Instrument gegen Stau. Die zuständigen Behörden könnten sich absprechen, um nicht auf allen Alternativstrecken gleichzeitig zu bauen. "Dann setzt man den Nutzer mehr oder weniger schachmatt."

Steuernde Maut eine Lösung?

Bei Staus durch hohes Verkehrsaufkommen (Stautyp eins) wird die Sache allerdings komplizierter. "Man kann den Verkehrsfluss so steuern, dass er zu bestimmten Tageszeiten nicht mehr so stark fließt oder auf andere Strecken ausweicht", erklärt Liedtke. Das Mittel der Wahl wäre dort eine steuernde Maut, sodass zum Beispiel die Benutzung eines Autobahnstücks außerhalb von Stoßzeiten weniger kostet. Ob die Maßnahmen Erfolg haben, wie zum Beispiel beim Mauttunnel zum Überseehafen in Rostock, müsse allerdings im Einzelfall untersucht werden.

Und wie kann man als Autofahrer Stau vermeiden? "Das Problem ist, dass viel Stau spontan entsteht", sagt Liedtke, zum Beispiel durch Unfälle. "Und nicht jeden Stau kann ich mit Google Maps vorhersehen." Da die Mitreisenden auch Stau vermeiden wollen, sind auch die Umleitungsstrecken oft verstopft, sodass es laut Liedtke manchmal günstiger ist, einfach im Stau auf der Autobahn zu bleiben. Auch dass es auf der anderen Spur immer besser läuft, ist ein Scheineffekt. "Wenn man ständig von der einen in die andere Spur wechselt, trägt man noch dazu bei, dass es langsamer wird."

Übrigens: Das sogenannte Reißverschlussverfahren ist tatsächlich das Mittel der Wahl, wenn sich Fahrbahnen verengen. "Das frühzeitig schließende Reißverschlussverfahren, wo sich alle ähnlich verhalten, verhindert Stau", so Liedtke. Es sollten sich allerdings alle frühzeitig einfädeln und nicht bis zum Engpasspunkt fahren. "Wenn sich alle am letzten Punkt reinquetschen, wird der Verkehr wieder lahmgelegt."