Tiere gähnen, Föten im Mutterleib gähnen und Menschen gähnen umso mehr, wenn sie ihr Gegenüber gernhaben. Und: Gähnen ist ansteckend - aber warum eigentlich? ntv.de fragt bei einer Schlafforscherin nach.
Jeder kennt es: ein Ziehen im Kiefer, ein Kribbeln im Rachen, gefolgt von dem schwer zu unterdrückenden Bedürfnis, den Mund weit aufzureißen, die Augen zu schließen und tief ein-und auszuatmen - man gähnt. Ein Gähnvorgang dauert nur etwa sechs Sekunden, ist beim Menschen so weit verbreitet wie Lachen und im hohen Maße ansteckend. Wenn ein Mensch gähnt, folgen ihm schnell weitere. Aber warum ist das überhaupt so?
"Man weiß, dass Gähnen ansteckend ist", erklärt Christine Blume, Psychologin und Schlafforscherin an der Uni Basel, gegenüber ntv.de. Aber: "Wir wissen nicht sicher, warum Gähnen ansteckend ist." Auch, warum wir überhaupt gähnen, ist laut Blume noch Gegenstand der Forschung.
Eine Gruppe von Theorien besage, so Blume, dass Gähnen eine biologische Funktion hat und zum Beispiel die Sauerstoffversorgung im Gehirn verbessert oder das Gehirn kühlt. Gegen die Theorie mit der Sauerstoffversorgung spreche etwa, dass beim Sport, bei dem das Gehirn mehr Sauerstoff verbraucht als üblich, üblicherweise weniger gegähnt wird. Unbekannt sei bisher auch ein Mechanismus, wie Gähnen das Gehirn kühlen soll. Auch Theorien, dass Gähnen den Zustandswechsel, zum Beispiel von Aufmerksamkeit und Langeweile, erleichtert oder ein evolutionäres Überbleibsel ist, seien schwer zu prüfen und böten deshalb keine hinreichende Erklärung, sagt die Psychologin.
Spontanes und ansteckendes Gähnen
Und Gähnen ist nicht gleich Gähnen: "Man muss zwischen spontanem Gähnen und ansteckendem Gähnen unterscheiden", erklärt Blume. "Spontan gähnen Kinder schon im Mutterleib." Dies spreche eher für eine biologische Funktion von Gähnen.
Soziales oder ansteckendes Gähnen habe aber wahrscheinlich keine überlebensnotwendige Funktion, sonst würde sich dieses Verhalten wohl früher ausbilden. "Es scheint etwas zu sein, das sich mit der sozialen Entwicklung zusammen ausbildet", so Blume. Gähnen wird nämlich erst bei Kindern ab etwa dem fünften Lebensjahr ansteckend.
Soziale Komponente gilt als sicher
Als gesichert gilt bislang also lediglich, dass es eine gewisse soziale Komponente braucht, um Gähnen ansteckend zu machen. Hinweise darauf liefern Untersuchungen, bei denen Teilnehmenden Videos vorgesetzt wurden, in denen Menschen verschiedene Gesichtsausdrücke machten, und zum Beispiel entweder lächelten oder gähnten. Forschende beobachteten, dass die Teilnehmenden, die gähnende Menschen in den Videos gesehen haben, deutlich öfter gähnten als jene, die Menschen nur lächeln sahen.
Aber was ist der Grund? Eine Theorie besagt, dass Spiegelneuronen uns erlauben, uns so sehr in unser Gegenüber hineinzuversetzen, dass wir auch ihr Gähnen kopieren. Forschende sehen die Rolle der Spiegelneuronen heute eher im Erkennen und Nachahmen von Bewegungen als in der Entwicklung komplexer sozialer Prozesse. "Die Rolle von Spiegelneuronen beim ansteckenden Gähnen wurde in verschiedenen Studien untersucht - mit gemischten Ergebnissen. Letztlich ist ihre Rolle bis heute nicht ganz geklärt und man kann das Phänomen nicht alleine durch die Aktivierung von Spiegelneuronen erklären", sagt Blume.
Empathische Menschen gähnen mehr mit
Trotzdem wird heute ansteckendes Gähnen oft mit Empathie in Verbindung gebracht. "Man hat herausgefunden, dass sich empathischere Menschen eher vom Gähnen anderer anstecken lassen", erklärt Blume. Andersherum werden Menschen, die eher Verhaltensweisen zeigen, die mit Psychopathie in Verbindung gebracht werden, weniger vom Gähnen anderer angesteckt. Psychopathie ist eine Störung, bei der die Empathie weniger ausgeprägt ist.
Blume warnt allerdings vor falschen Schlussfolgerungen: Gruppenergebnisse darf man laut der Psychologin nicht auf den Einzelfall übertragen. Das heiße nämlich nicht, dass wenn ein Mensch empathisch ist, er sich zwangsläufig vom Gähnen anderer anstecken lässt. "Weniger empathische Menschen gähnen vielleicht im sozialen Kontext einfach etwas weniger." Deswegen ist laut Blume auch Empathie keine erschöpfende Erklärung für ansteckendes Gähnen.
Bisher vor allem Hypothesen
Aber wie würden wir eigentlich herausfinden, warum Gähnen ansteckend ist? "Die Forschung, auch die zum Gähnen, ist von Hypothesen getrieben", sagt Blume. "Im Moment sind wir noch an dem Punkt, an dem verschiedene Hypothesen entwickelt und dann getestet werden. Und dann werden wir hoffentlich irgendwann herausfinden, wofür Gähnen gut ist - und auch warum es ansteckend ist."
Übrigens: Die meisten Säugetiere und viele andere Wirbeltiere gähnen ebenfalls. Hunde lassen sich auch vom Gähnen von Menschen anstecken - am ehesten aber, wenn es ihre Besitzer sind. Sogar Fische gähnen, allerdings nur spontan, um Wasser in die Rachenhöhle zu ziehen.