Herber Dämpfer für Anti-Aging-Hoffnung Taurin

Eine Studie von 2023 macht Taurin als mögliches Anti-Aging-Mittel bekannt. Doch eine aktuelle Analyse widerspricht diesen Erkenntnissen. Ist die erneute Hoffnung auf ein Lebenselixier damit verpufft?

Die Hoffnungen waren groß: Vor zwei Jahren stellte ein internationales Forschungsteam im Fachblatt "Science" eine Studie vor, der zufolge eine gängige Aminosäure bei Tieren die Gesundheit verbessert und das Leben verlängert. Man erhoffte sich daher mit Blick auf den Menschen viel: "Taurin könnte ein Lebenselixier in uns sein, das uns hilft, länger und gesünder zu leben", erklärte damals der Studienleiter Vijay Yadav von der Columbia University in New York.

Konkret berichtete das Team: Mäuse, Affen und auch Menschen hätten mit zunehmendem Alter immer weniger Taurin im Blut. Dagegen hätten mit Taurin gefütterte Mäuse eine etwa 10 Prozent längere Lebenserwartung.

Nun, zwei Jahre später, widerspricht ein anderes Forschungsteam nach Analysen anderer Daten über längere Zeiträume - ebenfalls im Fachjournal "Science". Demnach fällt die Konzentration der Aminosäure im Blut im Alter nicht ab, sondern im Gegenteil: Sie steigt an - bei Menschen, bei Rhesusaffen und auch bei weiblichen Mäusen. Lediglich bei männlichen Mäusen bleibe sie konstant, heißt es.

Funktion von Taurin bisher ungeklärt

Taurin ist seit fast 200 Jahren bekannt; erstmals isoliert wurde die Substanz 1827 von zwei deutschen Chemikern aus Ochsengalle. Die Aminosäure kommt natürlich im menschlichen Körper vor, unter anderem im Blut, in Muskeln und in vielen Organen wie Gehirn, Herz und Leber. Die Funktionen des Stoffes sind bislang nicht genau geklärt. Sie scheinen aber vielfältig zu sein, so gilt die Aminosäure als wichtig für die Gehirnentwicklung, die Stabilisierung der Zellmembran und für den Energiestoffwechsel. Möglicherweise schützt sie Zellen vor oxidativem Stress.

Taurin wird vom menschlichen Körper zwar selbst gebildet. Aber die Aminosäure wird auch mit der Nahrung aufgenommen, insbesondere durch den Verzehr von Fisch und Fleisch. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erhält der Körper auf natürlichem Weg zwischen 10 und 400 Milligramm pro Tag.

Zutat von Energy Drinks

Zudem wird der Stoff, der sich günstig synthetisch herstellen lässt, schon seit längerem Energy Drinks zugesetzt. Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA hält Mengen von 6 Gramm täglich für unbedenklich. Studien zufolge drohen Katzen, die im Gegensatz zum Menschen Taurin nicht ausreichend selbst bilden können, ohne die Aminosäure schwere Gesundheitsschäden.

In der 2023 publizierten Studie schrieb das Team um Yadav, dass Mäuse, Affen und auch Menschen mit zunehmendem Alter weniger Taurin im Blut haben. Blutproben von über 60-jährigen Menschen enthielten demnach durchschnittlich nur etwa ein Fünftel der bei Kindern und Jugendlichen gemessenen Konzentrationen.

Mäuse lebten nach Taurin-Futter länger

Daher prüfte das Team damals gezielt an Mäusen, ob Taurin den Alterungsprozess beeinflusst. Mäuse mit Taurin im Futter hätten im Schnitt eine zehn bis zwölf Prozent längere Lebenserwartung. Diese drei bis vier Monate entsprächen mit Blick auf die Lebenserwartung von Menschen etwa sieben oder acht Jahren. Auch bei Fadenwürmern verlängerte Taurin die Lebenserwartung, nicht aber bei dem einfachen Organismus Hefe.

Weitere Untersuchungen an Mäusen und Rhesusaffen ergaben damals, dass alternde Tiere, die Taurin erhielten, gesünder waren als unbehandelte Artgenossen. Weibliche Mäuse nahmen mit der Aminosäure altersbedingt weniger Gewicht zu, verbrauchten mehr Kalorien, hatten stärkere Knochen und Muskeln, verhielten sich weniger depressiv und ängstlich. Ähnliche gesundheitliche Effekte berichteten Yadav und sein Team bei Rhesusaffen mittleren Alters, die sechs Monate lang täglich Taurin bekamen.

Neue Studie mit rund 1000 Menschen

Die neue Veröffentlichung in "Science" wirft nun viele Fragen auf. Denn als Reaktion auf die Studie von Yadav und Kollegen überprüfte das Team um Rafael de Cabo vom US-amerikanischen National Institute on Aging in Baltimore die Verbindung zwischen Taurin und Alter erneut: an rund 1000 Menschen aus den USA und den Balearen. Auch Rhesusaffen und Mäuse waren Teil der Untersuchung.

"Die Taurin-Konzentrationen zeigten eine geschlechtsspezifische Zunahme mit dem Alter in allen Gruppen", bilanziert das Team um de Cabo in "Science", "außer in männlichen Mäusen, wo Taurin unverändert blieb". Einen Zusammenhang zwischen Taurin-Werten im Blut und Gesundheit fand die Gruppe nicht. Taurin-Konzentrationen seien wohl kein guter Biomarker für das Alter, folgert sie.

Gefallene Lebenselixiere

Möglicherweise droht Taurin ein ähnliches Schicksal wie anderen Stoffen, von denen Forschende in der Vergangenheit eine Verlangsamung des Alterns erhofften. Dazu zählen:

  • Der Rotwein-Inhaltsstoff Resveratrol wird seit Jahren untersucht - und im Internet auch beworben. Einen Nachweis für eine gesundheitsfördernde oder lebensverlängernde Wirkung beim Menschen gibt es nicht.
  • Auch der gegen Diabetes und Übergewicht genutzte Wirkstoff Metformin wurde untersucht - ohne Nachweis für eine lebensverlängernde Wirkung beim Menschen.
  • Rapamycin soll bei Mäusen die Lebenserwartung verlängern. Der Stoff, der die Wachstumssignalübertragung hemmt, steht bei Altersforschern hoch im Kurs. Ob bisherige Ergebnisse von Tieren jedoch auf den Menschen übertragbar sind, ist offen.

Ob Taurin dem Alterungsprozess entgegenwirken könne, darauf gebe die aktuelle Studie keine endgültige Antwort, meint Krasimira Aleksandrova vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) in Bremen. "Altern ist ein hochkomplexes Phänomen, bei dem viele biochemische Prozesse und Gewebe miteinander in Wechselwirkung stehen", betont sie. "Daher ist es vielleicht etwas naiv, einem einzelnen winzigen Molekül die Eigenschaften eines Wundermittels zur Verlangsamung des Alterns zuzuschreiben."

"Vorher mit dem Arzt sprechen"

Gewissheit darüber, wie eine Taurin-Nahrungsergänzung auf Menschen wirkt, erhofft der Münchner Biologe Wackerhage von seiner laufenden Studie, deren erste Resultate er 2026 erwartet. "Wir wollen diese Frage so gut beantworten wie möglich. Dann kann man endlich eine sichere Aussage treffen."

Ob Taurin, Rapamycin, Metformin oder Resveratrol: Der Leiter der aktuellen "Science"-Studie, da Cabo, plädiert generell zu Vorsicht im Umgang mit Untersuchungen, die Anti-Aging-Effekte von Stoffen belegten. "Da flippen alle aus und fangen an, solche Supplemente zu nehmen", sagte er auf einer eigens von "Science" anberaumten Pressekonferenz. Falls man erwäge, solche Stoffe zu nehmen, so sein Appell, dann sollte man zuerst mit einem Arzt sprechen.