Neue Gentherapie hilft erstmals Baby in den USA

Ein Baby aus den USA wird mit einer seltenen, lebensbedrohlichen Erbkrankheit geboren. Die Ärzte zögern nicht lange und entwickeln eine maßgeschneiderte Gentherapie - und die zeigt Wirkung: Der Zustand des Kindes verbessert sich. Die Technik hat enormes Potenzial, glauben Experten.

"Unsere ganze Welt drehte sich um diesen kleinen Kerl", sagt Kyle Muldoon. Nun könne die Familie "endlich aufatmen". Denn sein Sohn KJ, geboren mit einer seltenen und lebensbedrohlichen Stoffwechselkrankheit, ist der erste Mensch, der von einer maßgeschneiderten Gentherapie profitiert hat. Ein medizinischer Meilenstein, der nicht nur die Familie Muldoon, sondern auch die Wissenschaft nachhaltig prägen dürfte.

Das Baby KJ wurde in den USA mit einer lebensbedrohlichen Stoffwechselstörung geboren. Ihm mangelt es an einem Enzym, das für den Abbau von Ammoniak im Körper wichtig ist. Die Erkrankung hat eine geschätzte Sterblichkeitsrate von 50 Prozent im frühen Säuglingsalter. Ein Ärzteteam am Children's Hospital of Philadelphia begann daraufhin mit der Entwicklung einer maßgeschneiderten Gentherapie für KJ. Dabei wird ein spezielles Gen-Werkzeug in die Leber gegeben, wo es das Erbgut vieler Zellen repariert.

Keine ernsthaften Nebenwirkungen

Die ersten Monate nach der Geburt hatte KJ mit einer extrem eingeschränkten Ernährung in der Klinik verbracht und symptomlindernde Medikamente erhalten. Sein Gendefekt führt zu einer Ansammlung von Ammoniak im Blut, was Nerven- und Hirnschäden verursachen kann. Im Februar 2025 - etwa sieben Monate nach der Geburt - bekam er dann seine erste Gentherapie, weitere folgten. "Die Behandlung verlief sicher, und er wächst und gedeiht jetzt gut", schreibt das Children's Hospital of Philadelphia.

Das Baby bekam laut Mitteilung der Klinik zwei weitere Gentherapie-Dosen. "Bis April 2025 hatte KJ drei Dosen erhalten - ohne ernsthafte Nebenwirkungen." In der kurzen Zeit seit der Therapie vertrage das Baby mehr Eiweiß in der Nahrung und benötige weniger Medikamente. Zudem habe es normale Kinderkrankheiten wie eine Erkältung gut überstanden.

Der erste Patient von vielen?

Mit dieser Technik könnte einmal Millionen Menschen geholfen werden, die an seltenen Erbkrankheiten leiden, sagt Arndt Borkhardt, Direktor der Klinik für Kinder-Onkologie, -Hämatologie und klinische Immunologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. "Das ist ganz sicher ein Durchbruch."

Das Team präsentiert die Gentherapie im "New England Journal of Medicine" und auf dem Jahreskongress der American Society of Gene & Cell Therapy in New Orleans. "KJ ist zwar nur ein einzelner Patient, aber wir hoffen, dass er der erste von vielen ist, die von einer Methode profitieren, die individuell auf die Bedürfnisse von Patienten abgestimmt werden kann", sagt Mitautorin Rebecca Ahrens-Nicklas, Direktorin des Programms für Gentherapie bei vererbten Stoffwechselkrankheiten an der Klinik in Philadelphia.

Noch keine "funktionelle Heilung"

Es seien allerdings noch längere Nachbeobachtungen erforderlich, um Sicherheit und Wirksamkeit der Therapie zu beurteilen, räumt das Forschungsteam ein. Prinzipiell könnte der Patient in Zukunft weitere und höhere Dosen erhalten, falls nötig. Bis die Therapie einmal Routine werden könnte, werden nach Expertenangaben noch Jahre vergehen.

Julian Grünewald von der Technischen Universität München verweist darauf, dass das Baby nach der Gentherapie weniger Medikamente benötigte und weniger Symptome hatte, aber noch keine "funktionelle Heilung" erfolgt sei. "Man muss aber auch bedenken, dass in einer solchen erstmaligen Testung die Sicherheitsaspekte im Vordergrund stehen. Daher wurden auch vergleichsweise geringe Dosierungen genutzt."

Zugeschnittene Gentherapie

"Hier ist es so, dass man erstmals die Möglichkeit hat, in das Gebiet der seltenen oder ultraseltenen Erkrankungen zu gelangen, wo der Gendefekt sehr individuell ist", sagt Borkhardt. Ein Gen könne an vielen Stellen defekt sein und jeder Patient habe seine eigene Mutation.

Derzeit könne man bereits innerhalb von Tagen oder einer Woche nach der Geburt eine genetische Krankheit feststellen, so Borkhardt. "Was natürlich jetzt hier völlig neu ist, dass man eine Gentherapie designt in sehr kurzer Zeit." KJ habe ein krank machendes Gen für ein Enzym vom Vater und eines von der Mutter erhalten. "Das nächste Baby mit derselben Erkrankung hat voraussichtlich ganz andere Mutationen und bräuchte natürlich dann ein ganz anderes gentherapeutisches Produkt", erläutert Borkhardt. Dann müssten ganz andere Genbausteine korrigiert werden.

Dämpfer für Hoffnung auf rasche Hilfe

Theoretisch könne die Therapie auch für ältere Kinder und Erwachsene genutzt werden, sagt Borkhardt. Er warnt jedoch vor zu großen Hoffnungen auf rasche Hilfe. Die Therapie sei komplex. Für die klinische Routine werde es Jahre dauern, bis solche Therapiemöglichkeiten flächendeckend aufgebaut seien.

Bei der Studie handle es sich um eine großartige Demonstration, "aber es sei auch darauf hingewiesen, dass die Korrektur in der Leber erfolgte", sagt Marc Güell von der Universität Pompeu Fabra in Barcelona. Andere Gewebe ließen sich derzeit noch wesentlich schwerer gentherapeutisch behandeln. Der hier verfolgte Prozess sei zudem äußerst komplex, und es werde viel Arbeit nötig sein, um herauszufinden, wie man ihn weiter verbreiten und auf andere Fälle ausweiten könne.

Bleibt Genkorrektur bestehen?

Über die Risiken lasse sich derzeit noch wenig sagen, meint Borkhardt. "Das braucht natürlich, das sagen die Autoren selbst, eine viel längere Nachbeobachtung." Das Kind müsse sicher weiterhin nachbetreut werden, um zu schauen: "Ist es stabil? Bleibt diese Genkorrektur so, dass auch die Stoffwechselleistung der Leber ausreicht, lebenslang ihren Dienst zu tun? Das kann man heute natürlich alles nicht sagen mit diesem kurzen Follow-up."

In der EU gilt eine Erkrankung dann als selten, wenn sie höchstens 5 von 10.000 Menschen haben. Derzeit sind laut Robert-Koch-Institut etwa 8000 seltene Erkrankungen bekannt. Sie sind demnach überwiegend genetisch bedingt und haben oft schwere, chronische Verläufe. In Deutschland seien geschätzt vier Millionen Menschen davon betroffen.