Es könnte ein ruhiger Flug sein. Doch eine alte Dame verändert alles: Sie sagt jedem Passagier dessen Todesursache und die dazugehörige Lebenserwartung voraus. Die ersten Weissagungen treffen wenig später ein. Es ist die Hölle.
Was würdest du tun, wenn du wüsstest, wann und wie du sterben wirst? Bewusster leben, wäre wohl eine Antwort. Eine andere könnte lauten: Sich einigeln, abkapseln, nicht mehr vor die Tür gehen, aus Angst. Die Passagiere eines inneraustralischen Flugs nach Sydney sehen sich mit diesen Fragestellungen konfrontiert, als eine alte Dame ihnen auf den Kopf zu ihre Todesursache und die dazugehörige Lebenserwartung ungefragt offenbart: "Ich erwarte einen verheerenden Schlaganfall. 72 Jahre." Oder: "Ich erwarte eine Herzerkrankung: 84 Jahre." Oder: "Arbeitsunfall. 43 Jahre." Oder: "Tod durch Ertrinken. 7 Jahre."
Manche Passagiere nehmen die "Death Lady", wie sie später von den Medien genannt wird, nicht ernst. Manche lachen. Manche freuen sich, weil sie älter als 90 werden oder sogar die magische 100er-Marke knacken. Andere sind skeptischer, grübeln. Ethan beispielsweise. Er ist noch keine 30, kommt aber gerade von der Beerdigung seines besten Freundes Harvey. Ein Schicksalsschlag allererster Güte. Ethan wird der Dame zufolge an einem "tätlichen Angriff" sterben.
Was, wenn es wirklich passiert?
Ethan wohnt zur Untermiete, hat ein Zimmer bei einer Traumfrau, eine Tochter aus reichem Hause. Wunderschön. Aber wie sagte Harvey schon: "Typen wie wir, haben bei solchen Frauen keine Chance." Ethan träumt dennoch von ihr. Sie nennt ihn Jason Bourne. Doch als sie einen Typen mit einem Brustkorb und einem Kreuz wie bei einem Rugbyspieler aufreißt, ist Ethan alarmiert. "Tod durch tätlichen Angriff", sagte die Dame im Flieger. Ethan beginnt, Selbstverteidigungskurse zu belegen. Man weiß ja nie.
Auch Eve und Dom saßen in dem Flieger mit der "Death Lady". Frisch verheiratet, Flitterwochen, danach die erste gemeinsame Wohnung. Während Dom recht alt werden soll, wird Eve ein "schnelleres" Ende vorhergesagt - und eines, dass weder sie noch ihren Ehemann von da an wieder ruhig schlafen lässt: "Tod durch Intimpartner". Aber Dom ist doch kein Schläger! Er ist der liebste und beste Ehemann, den man sich nur vorstellen kann. Lassen sie sich etwa wieder scheiden? Ist es der nächste "Freund" von Eve, der ihre Vorsehung erfüllt?
Gedankenspiele, die fesseln
Als die erste Passagierin wenig später genauso stirbt, wie und wann vorhergesagt, nimmt die Geschichte mit der "Death Lady" Fahrt auf. Es ist ein Autounfall, live gestreamt im Netz. Danach stirbt ein altes Pärchen, auch ihre Vorhersage hat sich erfüllt. Nun versuchen gleich mehrere Insassen des damaligen Flugs nach Sydney mehr über die geheimnisvolle Hellseherin herauszufinden. Wer ist die "alte Dame"? Was lässt sich im Netz über sie finden? Wo lebt sie? Sind ihre Vorhersagen gar Flüche? Kann man sie vielleicht brechen oder sie entkräften?
Die Lösung all dieser Fragen liefert Bestsellerautorin Laine Moriarty ("Big Little Lies") mit ihrem spannungsgeladenen, unter die Haut gehenden Thriller "Vorsehung", erschienen bei Droemer Knaur und als Hörbuch bei Argon. Moriarty spielt dabei mit der Fantasie und den Ängsten der Leser. Was, wenn man wirklich wüsste, wann und wie man stirbt? Und was, wenn bereits die Vorhersage, selbst wenn sie als pure Scharlatanerie abgetan wurde, das eigene weitere Leben unbewusst beeinflusst - à la Christopher Nolans "Inception"?
So oder so: Das Gehirn kommt nicht mehr zur Ruhe. Die Gedanken spielen verrückt. Immer neue Möglichkeiten tun sich auf. Der Leser fiebert deshalb von der ersten Seite an mit. Er will wissen, wie es den Passagieren ergeht nach der Weissagung der "Death Lady". Und er will auch mehr über die alte Dame erfahren. Wie kommt sie dazu, in dem Flieger "Todesursache, Lebenserwartung" vorherzusagen. Aber nicht mehr, keine weiteren Einzelheiten, wie sie darauf kommt beispielsweise.
Und wie die Passagiere selbst, die versuchen, das Rätsel der alten Dame zu lösen, versucht sich auch der Leser daran. Er ist allerdings klar im Vorteil, denn am Ende der "Vorsehung" sind alle Fragen gelöst. Oder doch nicht? "Sie erwartet …"