Das eigentliche Problem kann Merz nicht aussitzen

Frauke Brosius-Gersdorf hilft mit ihrem Rückzug nicht nur der Koalition. Sie bewahrt auch das Land vor weiterem Schaden. Die Initiatoren und Trittbrettfahrer der Kampagne gegen sie dürften Blut geleckt haben. Sie brauchen ein klares Stoppschild.

Das war absehbar und letztlich auch unvermeidlich: Frauke Brosius-Gersdorf hat ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurückgezogen. Die Jura-Professorin beugt sich damit dem Druck der Kampagne, unter dem zuvor bereits die Unionsfraktion eingeknickt war. Zugleich erspart sie der Koalition, die Lösung für einen Konflikt zu suchen, der nicht mehr aufzulösen war.

Unvermeidlich war dieser Schritt, weil es im Bundestag keine Mehrheit für Brosius-Gersdorf gab. Was rechtsgerichtete Nachrichtenmedien und Politiker über die Frau verbreiteten, bestand zwar vor allem aus Verdrehungen und Halbwahrheiten. Aber auch die können Fakten schaffen. So wurde Brosius-Gersdorf als "ultralinke Juristin" bezeichnet - erst von ultrarechten Medien, dann auch von CDU-Abgeordneten, die allerdings in der Regel nicht mutig genug waren, namentlich zu ihrer absurden Einschätzung zu stehen.

Mit ihrem Rückzug hat Brosius-Gersdorf, man muss es so deutlich sagen, das Land vor weiterem Schaden bewahrt. Gleichzeitig zeigt ihr Fall, wie sehr Demokratie und Meinungsfreiheit unter Druck stehen. Die Initiatoren und Trittbrettfahrer der Kampagne gegen die Juristin, zu der nicht nur Nachrichtenportale und die AfD gehören, sondern auch Vertreter von CSU und CDU sowie Bischöfe und Kardinäle der katholischen Kirche, werden den Rückzug als Erfolg feiern. Nicht allen von ihnen war klar, dass sie Teil einer Kampagne waren. Aber einige werden Blut geleckt haben. Sie dürften sich ermuntert fühlen, den Erfolg zu wiederholen.

Ein Beispiel für die Kampagne: Es war leicht, Zitate von Brosius-Gersdorf aus dem Kontext zu reißen und die Hochschullehrerin einem unbedarften Publikum als "lebenskritisch" zu verkaufen. Brosius-Gersdorf hatte in einer Anhörung im Bundestag gesagt, es gebe gute Gründe, "dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt". Daraus wurde: Die Frau sieht ungeborenes Leben nicht als schützenswert an. Eine Lüge.

Dabei hatte Brosius-Gersdorf lediglich auf einen juristischen Konflikt aufmerksam gemacht: Wenn die Menschenwürdegarantie uneingeschränkt auch für ungeborenes Leben gilt, dann dürften Abtreibungen niemals erlaubt sein, nicht einmal dann, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Aber so ist die geltende Rechtslage nicht. Schwangerschaftsabbrüche sind in bestimmten Fällen durchaus legal. Brosius-Gersdorf hat versucht, diesen Widerspruch aufzulösen, mehr nicht. Eine juristische Stellungnahme wurde ihr als Forderung ausgelegt, um aus der Wissenschaftlerin eine "Aktivistin" zu machen.

Bundeskanzler Friedrich Merz mag Erleichterung darüber verspüren, dass seine Koalition ein unangenehmes Problem so einfach losgeworden ist. Aber das sehr viel größere Problem kann er nicht aussitzen. Merz muss dafür sorgen, dass nicht Desinformationskampagnen über Fragen entscheiden, die der Bundestag zu klären hat. Merz muss, öffentlich und intern, klare Zeichen setzen: Ein solcher Fall darf sich nicht wiederholen.