Von einer Waffenruhe oder gar Frieden scheinen Israel und die Terrororganisation Hamas weit entfernt. Das Leid der Bevölkerung im Gazastreifen nimmt kein Ende. Nach Paris erhöht nun auch London den Druck auf Jerusalem. Der britische Außenminister Lammy redet sich in Rage.
Wie Frankreich könnte auch Großbritannien Palästina als Staat anerkennen. Man werde den Staat Palästina Ende September vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen anerkennen, sofern die israelische Regierung nicht wesentliche Schritte unternehme, um die entsetzliche Situation im Gazastreifen zu beenden und sich zu einem langfristigen, nachhaltigen Frieden bekenne, teilte der britische Premier Keir Starmer nach einer Dringlichkeitssitzung seines Kabinetts mit.
Zu diesen Schritten zähle unter anderem, den Vereinten Nationen zu gestatten, die Versorgung der Bevölkerung im Gazastreifen mit humanitärer Hilfe zur Beendigung des Hungers unverzüglich wiederaufzunehmen, hieß es in einer Mitteilung aus der Downing Street. Außerdem müsse Israel einer Waffenruhe zustimmen und klarstellen, dass es keine Annexionen im Westjordanland geben werde.
Israels Außenministerium kritisierte den Vorstoß Starmers scharf. Die Anerkennung Palästinas als Staat wäre eine "Belohnung für die Hamas" und würde die Bemühungen um eine Waffenruhe im Gazastreifen sowie die Freilassung der noch immer von der Hamas und anderen Extremisten festgehaltenen Geiseln beeinträchtigen, hieß es in einer Mitteilung.
Außenminister wiederholt Drohung an Israel
Der britische Außenminister David Lammy wiederholte derweil die Drohung an Israel bei einer Rede in New York und übte scharfe Kritik an der Regierung von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Sofern Israel das Leiden nicht beende, werde die britische Regierung "mit der Hand der Geschichte auf unseren Schultern" Palästina als Staat anerkennen, sagte er.
"Die Ablehnung einer Zweistaatenlösung durch die Netanjahu-Regierung ist falsch. Sie ist moralisch und strategisch falsch. Sie schadet den Interessen des israelischen Volkes und versperrt den einzigen Weg zur Anpassung und zu dauerhaftem Frieden", sagte Lammy in einer energiegeladenen Rede in der großen Halle der Vollversammlung der Vereinten Nationen.
Mit der sogenannten Zweistaatenlösung ist die Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates gemeint, der friedlich Seite an Seite mit Israel existieren soll. Sie gilt völkerrechtlich und auf diplomatischer Ebene als das international anerkannte Ziel für eine Lösung des Nahost-Konflikts. In New York findet derzeit eine UN-Konferenz zur Verwirklichung der Zweistaatenlösung statt - ohne Israel und die USA.
"Israels tröpfchenweise Hilfe hat die Welt entsetzt"
Gleichzeitig betonte der britische Chefdiplomat, es gebe keine Rechtfertigung für das Leid im Gazastreifen, sondern nur die klare Pflicht, dieses zu beenden. "Die Kinder hungern, und Israels tröpfchenweise Hilfe hat die Welt entsetzt. Dies ist ein Verstoß gegen die Werte der Charta der Vereinten Nationen." Internationale Experten für Ernährungssicherheit hatten jüngst vor einer rapiden Verschlechterung der humanitären Situation in dem abgeriegelten Küstengebiet gewarnt.
Zugleich sagte Premier Starmer in der Kabinettssitzung, dass die Forderungen an die islamistische Hamas bestehen blieben: Die Hamas müsse alle Geiseln freilassen, ebenfalls einer Waffenruhe zustimmen, akzeptieren, dass sie keine Rolle beim Regieren des Gazastreifens spielen werde und ihre Waffen niederlegen. Im Vorfeld der UN-Generalversammlung werde man dann beurteilen, inwieweit die Parteien die Schritte umgesetzt hätten, sagte Starmer. Danach werde man eine finale Entscheidung treffen. Zugleich machte die Downing Street aber auch deutlich, dass eine Anerkennung eines Staates Palästina allein die Situation vor Ort nicht ändern werde.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte vergangene Woche die Anerkennung Palästinas als Staat angekündigt und damit scharfe Kritik Israels und der USA auf sich gezogen. Fast 150 UN-Mitgliedstaaten erkennen Palästina als Staat an. Wichtige westliche Länder wie etwa die UN-Vetomacht USA gehören aber nicht dazu. Auch Deutschland erkennt Palästina nicht als Staat an. Israel wird etwa von Saudi-Arabien, dem Irak und Syrien nicht anerkannt.
Netanjahu sieht in der Hamas das Hindernis
Israels Premier Netanjahu selbst sieht derweil in der islamistischen Hamas das größte Hindernis für das Zustandekommen eines Waffenruhe-Abkommens für den Gazastreifen. Seit dem Abzug des israelischen Verhandlungsteams aus der katarischen Hauptstadt Doha habe er viele Beratungen zu diesem Thema geführt, sagte Netanjahu in einer Videobotschaft. "Aber es gibt ein großes Hindernis, und jeder weiß, was das ist: die Hamas."
Die indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas in Doha waren zuletzt ins Stocken geraten. Die USA fungieren gemeinsam mit Katar und Ägypten als Vermittler zwischen Israel und der Hamas, da die beiden Kriegsparteien nicht direkt miteinander sprechen. Auf dem Verhandlungstisch lag zuletzt ein Vorschlag für eine 60-tägige Waffenruhe, in deren Zuge die Hamas zehn der noch lebenden Geiseln aus dem Gazastreifen freilassen würde.
Doch die USA und Israel riefen vergangene Woche ihre Delegationen für Konsultationen in ihre jeweiligen Hauptstädte zurück. Die beiden Kriegsparteien machten sich anschließend gegenseitig Vorwürfe, für die Rückschritte bei den Verhandlungen verantwortlich zu sein. Die Gespräche als abgebrochen oder gescheitert bezeichnet hat allerdings bisher keine der beiden Parteien.
Netanjahu erwähnte nach dem Abzug der israelischen Delegation "alternative Optionen", um die noch immer im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln zu befreien. In seiner Videobotschaft betonte Netanjahu: "Wir geben nicht nach. Wir werden weiter alles in unserer Macht Stehende tun, auf diese oder jene Weise."