Es gibt nur eine gute Lösung

Abgeordnete von CDU und CSU lehnen es ab, die Juristin Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin zu wählen. Doch die Vorbehalte basieren auf Fehlinformationen. Es gibt nur eine Möglichkeit, aus der Blockade herauszufinden.

Die Koalition aus Union und SPD hat zwar Sommerpause, aber auch Sendepause. Seit Freitag laboriert die Regierung an ihrer ersten richtigen Krise. Die Wahl von drei Verfassungsrichtern scheiterte, weil die Unionsfraktion ausscherte. Reihenweise weigerten sich Abgeordnete, Frauke Brosius-Gersdorf zur Richterin am Bundesverfassungsgericht zu wählen. Und jetzt?

Das ist die Frage, die sich Bundeskanzler Friedrich Merz, Unionsfraktionschef Jens Spahn, SPD-Chef Lars Klingbeil und SPD-Fraktionschef Matthias Miersch gerade stellen. Merz hat sich bereits geäußert. Tenor: nochmal in Ruhe gucken, wie man das löst. Dabei gibt es eigentlich nur eine Lösung, auch wenn es die Union schmerzt: Sie muss Brosius-Gersdorf doch wählen.

Warum? Kurz gesagt: Weil die Vorwürfe gegen sie völlig überzogen sind oder überhaupt nicht stimmen. Rechte Medien haben Äußerungen aus dem Zusammenhang gerissen, aufgebauscht und skandalisiert. Die AfD hat fröhlich mitgemacht. Unionsabgeordnete haben offenbar Panik bekommen, als sie merkten, was sich da auch an Teilen ihrer Basis zusammenbraute. Das ist verständlich.

Doch entscheidend muss ein Blick auf die Fakten sein. Darauf, wer Brosius-Gersdorf wirklich ist, nicht das grelle Zerrbild, das von ihr gemalt wurde. Von den Tatsachen auszugehen, ist im besten Sinne bürgerlich. Stimmungen hinterherzulaufen, auch aus Angst, ist es nicht. Vier Themen sorgten für Aufregung. Bei Lichte besehen schmelzen sie auf Schulterzucken-Niveau herunter. Das müssen Merz und Spahn den Abgeordneten deutlich machen.

Vier Themen sorgen für Streit

Stichwort Abtreibungen: Keineswegs hat Brosius-Gersdorf jemals gesagt, Abtreibungen sollten noch im neunten Monat der Schwangerschaft möglich sein. Sie hat sich mit einer schwierigen Frage befasst: ab wann das Recht auf Leben des ungeborenen Babys schwerer wiegt als die der Mutter. Im Ergebnis landete sie an dem Punkt, der bereits weitgehend Gesetzeslage ist: dass Schwangerschaftsabbrüche bis zum dritten Monat möglich sein sollten.

Zugegeben, mit einem feinen Unterschied. Derzeit sind sie verboten, aber "straffrei" - und damit möglich. Brosius-Gersdorf argumentiert, sie könnten auch rechtmäßig sein. Das ist keine Lappalie. Schwangerschaftsabbrüche werden immer ein schwieriges Thema sein, gerade weil das ungeborene Leben besonderen Schutz braucht. Inwieweit eingegriffen werden kann, wird immer eine heikle Abwägung sein. Gerade vor dem Hintergrund der Frage, ob das ungeborene Kind eine unteilbare Menschenwürde genießt oder "nur" ein Recht auf Leben. Im Ergebnis würde die Position Brosius-Gersdorfs aber keine Änderung bringen. Also kein Grund für Schaum vor dem Mund.

Stichwort Impfpflicht: Zum Ende der Corona-Krise sprach sich Brosius-Gersdorf für eine Impfpflicht aus. Sie stellte die Frage, ob man dafür nicht sogar eine Pflicht aus dem Grundgesetz ableiten könne. Die CDU-Rechtsaußen-Abgeordnete Saskia Ludwig sagte dem "Stern", man müsse sich nur einmal ihr Schreiben dazu ansehen, das noch immer auf der Homepage der Uni Potsdam abrufbar ist.

Das ist aber alles andere als skandalös. Darin argumentiert sie mit dem Schutz des Lebens aller und dem Kampf gegen die Pandemie. Ein Skandal wird nur daraus, wenn man meint, eine Impfpflicht sei in jedem Fall ein Verbrechen und jeder, der sie erwägt, ein Täter. Das ist aber nicht der Fall. Brosius-Gersdorfs Position war konsequent, das ja. Man muss sie nicht teilen, doch aus heutiger Sicht sollte man es sich nicht zu leicht machen. Die Pandemie endete auch, weil eine neue, hochansteckende Variante sich ausbreitete, die aber glücklicherweise nicht besonders gefährlich war. So wurden gefährlichere Virus-Varianten verdrängt. Die Impfpflicht erübrigte sich.

Stichwort AfD-Verbot: Schon im vergangenen Jahr machte Brosius-Gersdorf Schlagzeilen mit einem Auftritt bei Markus Lanz im ZDF. Ihr wird vorgeworfen, sie habe sich dort für ein AfD-Verbot ausgesprochen. Das stimmt aber so nicht. Dort sagte sie: "Die Frage ist, ob es genug Material der Verfassungsschutzbehörden gibt, (…) dass sie verfassungsfeindliche Ziele erreicht. (…) Wenn es genug Material gibt, wäre ich auch dafür, dass der Antrag auf ein Verbotsverfahren gestellt wird. Weil das ein ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie ist, dass sie sich gegen Verfassungsfeinde wehrt, dass es Grenzen gibt, die nicht überschritten werden dürfen."

Die Bedingung ist für sie also, dass der Verfassungsschutz genug Belege für die Verfassungsfeindlichkeit gesammelt hat. Dann wäre sie für den Verbotsantrag. Diesen Antrag aber, und das ist entscheidend, dürfte sie als Verfassungsrichterin überhaupt nicht stellen. Das dürfte nur die Bundesregierung, der Bundesrat oder der Bundestag. Dass sie eine Meinung zur Richtigkeit eines Verbotsverfahrens hat, ist aber kein Ausschlusskriterium. Verfassungsrichter müssen neutral sein - aber persönliche Meinungen dürfen sie haben. Man wird keine Top-Juristen finden, die keine Meinungen haben. Ihre Aufgabe ist es dann aber, auf Basis der bestehenden Gesetze zu urteilen und eben nicht aufgrund der Meinungen. Das können sie, das ist ihr Job.

Bei Lanz sagte Brosius-Gersdorf 2024 auch, ihr sei klar, dass mit einem Verbot die Anhängerschaft der AfD nicht "beseitigt" sei. Natürlich meinte sie nicht, AfD-Wähler müssten wie im Nazi- oder Mafia-Jargon "beseitigt", also umgebracht werden. Man müsse deren Wähler mit guter Politik überzeugen, erklärte sie. Im Zusammenhang war klar, wie sie es meinte. Außerdem wies Lanz sie sofort auf ihre unglückliche Wortwahl hin.

Stichwort Kopftuch: Lehrerinnen dürfen Kopftuch tragen, angehende Juristen, die Rechtsreferendarinnen aber nicht. Einmal gilt das Neutralitätsgebot, ein anderes Mal nicht. Brosius-Gersdorf sah darin einen Widerspruch. Ist es denn keiner? Brosius-Gersdorf sagt nicht einmal, dass Rechtsreferendarinnen auch Kopftuch tragen dürfen sollten. Ein Kopftuchverbot sei denkbar, etwa auf Basis des Mäßigungsgebots. Es ging ihr nur um die rechtliche Gleichbehandlung.

CDU und CSU müssen sich gegen Stimmungsmache stellen

Kurzum: Die SPD hat mit der Nominierung von Brosius-Gersdorf keinen Fehler gemacht. Von ihr zu verlangen, jemand anderes zu nominieren, wäre eine maßlose Zumutung für den Koalitionspartner. Brosius-Gersdorf nicht zu wählen, wäre auch eine Zumutung für diese anerkannte Juristin. Denn sie hat nichts falsch gemacht. Sie ist Opfer einer Rufmordkampagne. Sie ist keine linke Aktivistin. Sie ist auch nicht mehr Aktivistin als Juristin. Sie ist eine geeignete Kandidatin. Punkt.

Viel ist nun die Rede davon, das Bundesverfassungsgericht sei jetzt schon beschädigt. Der Schaden wäre aber vor allem da, wenn Brosius-Gersdorf wegen einer Schmutzkampagne tatsächlich nicht gewählt würde. Wenn Richterkandidaten fürchten müssen, öffentlich so fertig gemacht und im Regen stehen gelassen zu werden - wer möchte dann noch kandidieren? Das wäre ein tatsächlicher Schaden. Die Unionsabgeordneten sollten keine Angst vor einem Sturm von rechts haben. Sonst machen sie sich klein. Jetzt sind Steher-Qualitäten gefragt. Auch von Merz und Spahn.