Für Klingbeil kam es dicker als erwartet und was sonst noch los war

Ein Schock am Freitag und allgemeine Ratlosigkeit prägen den SPD-Parteitag. Aber es gibt aus sozialdemokratischer Sicht auch Lichtblicke. "In zwei Jahren ist die SPD eine andere", prophezeit Juso-Chef Philipp Türmer.

Harte Klatsche für Klingbeil

Knapp 65 Prozent, die Zahl ist historisch. Es ist das zweitschlechteste Ergebnis, das ein SPD-Vorsitzender je auf einem SPD-Parteitag bekommen hat - das schlechteste erhielt Oskar Lafontaine 1995 in Mannheim, und der hatte, anders als Lars Klingbeil, einen Gegenkandidaten.

Die Wahl erinnerte an das Scheitern von Friedrich Merz im ersten Wahlgang Anfang Mai. Das ist lange her und längst vergessen, kann man argumentieren. Aber wie damals für Merz war es jetzt für Klingbeil ein Schock. Er sprach von einem "schweren" Ergebnis. Über die Gründe kann man nur spekulieren, denn keiner der 166 Delegierten, die gegen Klingbeil stimmten, übte in der Aussprache vor der Wahl offene Kritik.

Zentral dürfte Klingbeils Verhalten nach der desaströsen Wahlschlappe vom Februar gewesen sein: Während seine damalige Co-Chefin Saskia Esken kein Ministeramt bekam und als Parteichefin der "Erneuerung" geopfert wurde, ist Klingbeil heute Finanzminister und Vizekanzler. Seine Ämter sollen, so ist zu vermuten, ein Sprungbrett für die nächste Bundestagswahl sein. Viele in der SPD scheinen nicht zu glauben, dass das ein guter Plan ist.

Rehlinger noch stärker als Bas

Die neue Parteivorsitzende Bärbel Bas kam dagegen auf fast schon sensationelle 95 Prozent. Noch besser schnitten im Parteivorstand nur zwei ab: Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger kam bei der Wahl zur stellvertretenden Parteivorsitzenden auf 97,2 Prozent, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer erhielt 95,3 Prozent. Die sächsische Sozialministerin Petra Köpping erhielt als SPD-Vizechefin knapp 91 Prozent, ebenso der neue Generalsekretär Tim Klüssendorf.

Anders als Klingbeil hatten Rehlinger, Schweitzer und Bas kaum die Möglichkeit, sich mit Personalentscheidungen nach der Bundestagswahl unbeliebt zu machen. Allerdings trafen alle drei mit ihren Reden auf dem Parteitag den Nerv der Delegierten. Für die SPD ist das ein Lichtblick.

Aber eigentlich ist die SPD ratlos

Die Analyse im Leitantrag, der am Freitag von den Delegierten beschlossen wurde, ist deutlich: "Die Ursachen reichen von fehlender strategischer Klarheit bis hin zu mangelnder Präsenz in den Lebenswelten vieler Menschen." Mit anderen Worten: Es liegt an so gut wie allem.

Nur: Was folgt daraus? Was kann die SPD anders, besser machen, um diese Probleme zu lösen? Da wirkten viele Redner ratlos, wenn sie nicht gerade, wie üblich, den innerparteilichen und gesellschaftlichen Zusammenhalt beschworen. "Wir verteidigen nicht den Status quo, sondern wir gestalten den Wandel aktiv", heißt es im Leitantrag. Vielleicht ist genau dies das Problem: Wandel ist aus Sicht vieler gerade kein sehr attraktives Modell.

Juso-Chef Philipp Türmer, der vor dem Parteitag mit Klingbeil hart ins Gericht gegangen war, sagte an diesem Sonntag bei ntv, die SPD habe bei der Aufarbeitung der Bundestagswahl "noch eine ganze Wegstrecke zu gehen". Er hofft auf den Prozess, in dem in den kommenden zwei Jahren ein neues Grundsatzprogramm erarbeitet werden soll. "Wir nehmen uns zwei Jahre Zeit, um diese Partei einmal programmatisch komplett neu aufzustellen", so Türmer. "Nach diesen zwei Jahren ist die SPD eine andere als die SPD, die die Wählerinnen und Wähler bei der letzten Bundestagswahl nicht mehr gewählt haben." Diesmal meine die SPD es ernst mit der Erneuerung. "Das ist ein gutes Signal."

Russland und Frieden erhitzen die Gemüter

Die Debatte am Freitag zeigte, dass es für die Positionen von Ralf Stegner und Rolf Mützenich in der SPD keine Mehrheit gibt. Die beiden hatten ihre Positionen vor dem Parteitag in einem "Manifest" aufgeschrieben. Sie fordern, vereinfacht gesagt, mehr Diplomatie und einen anderen Blick auf Russland. Vor allem Letzteres stieß bei zahlreichen Delegierten auf harsche Kritik.

Putin sage selbst, dass Russland im Kampf "gegen den dekadenten Westen" stehe, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius. Dann könne man Putin doch nicht ernsthaft als jemanden sehen, "der mit uns über Frieden und Abrüstung reden will".

Allerdings zeigte eine Abstimmung, dass Positionen wie die von Stegner keineswegs nur von einer kleinen Mehrheit getragen werden. Ein Antrag, der sich gegen das Fünf-Prozent-Ziel der Nato wandte, erhielt am Samstagabend eine Zustimmung von mehr als einem Drittel der Delegierten - obwohl der Verteidigungsminister sich in der Debatte gegen den Antrag ausgesprochen hatte. "Auch Boris Pistorius' Versuch, 'Einigkeit' für weitere Aufrüstung herzustellen, konnte nicht verhindern, dass 35 Prozent der Delegierten gegen das Fünf-Prozent-Ziel votiert haben", sagte einer der Antragsteller, der Kölner Peter Förster von der Kampagne "Mehr Diplomatie wagen". Seine Prognose: "Die innerparteiliche Debatte wird also weitergehen."

Der Mindestlohn zeigt, wo das Problem liegen könnte

Umstritten war auf dem SPD-Parteitag auch der Mindestlohn. Viele Redner hatten kein so großes Problem mit dem Beschluss der Mindestlohnkommission, der ja auch einstimmig gefallen war. DGB-Chefin Jasmin Fahimi sagte am Freitag in einem Grußwort, die Verhandlungen seien "ein verdammt hartes Ringen" gewesen. Am Ende hätte die Arbeitnehmerseite aber der Erhöhung auf 14,60 Euro im Jahr 2027 zugestimmt, und sie bat auch die SPD, dieses Ergebnis zu unterstützen. Die meisten Redner taten das auch, aber nicht alle.

Tim Glaubitz aus dem Landesvorstand Hannover erinnerte daran, dass der damalige Arbeitsminister Hubertus Heil in der niedersächsischen Landeshauptstadt gesagt hatte, die SPD solle beim Thema Mindestlohn nicht "Opfer von CDU-Propaganda" werden. "Wir werden ihn weiter erhöhen, damit er armutsfest ist", so Heil damals, als die Parteispitze um die Zustimmung der SPD-Basis zum Koalitionsvertrag warb. Glaubitz fuhr fort: "Jetzt müssen wir feststellen, es war nicht die CDU-Propaganda, sondern es war eure Propaganda, auf die die Leute reingefallen sind, wenn sie den Koalitionsvertrag unterstützt haben."

Vor allem an gebrochenen Versprechungen störte sich auch Filippos Kourtoglou aus Bayern. "Wir lassen uns die Butter vom Brot nehmen", kritisierte er. Die Menschen müssten das Gefühl haben, dass die SPD für sie kämpfe, statt alles hinzunehmen.