Meloni macht Ernst mit Law and Order - geht sie zu weit?

Ein neues Gesetz in Italien könnte mehrere Grundrechte beschneiden, allen voran das Demonstrationsrecht. Nicht nur die Opposition macht sich Sorgen, sondern auch Juristen und Akademiker.

Wird es in Italien riskanter, zu protestieren? Die Frage stellen sich viele, nachdem die amtierende Rechts-Mitte-Regierung am Mittwoch ein neues Gesetz verabschiedet hat. Das lässt 14 neue Straftatbestände entstehen und führt zu neun Strafverschärfungen. Dabei stehen vor allem Protestaktionen im Fokus: zum Beispiel gegen Großprojekte wie den Bau der Brücke über der Meeresenge von Messina. Es geht um Straßen- und Schienenblockaden, die künftig mit Geldstrafen oder bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden können. Auch Aktionen gegen Kunstgemälde wie die von Ökoaktivisten werden härter bestraft.

Es geht aber auch um Protestaktionen, bei denen es zu Gewalttaten oder Drohungen kommt. In solchen Fällen ist eine Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren vorgesehen und eine Geldstrafe bis zu 15.000 Euro - zusätzlich.

Strafrechtlich verfolgt wird künftig außerdem selbst passiver Widerstand in Gefängnissen, Protest von Migranten in Abschiebungslagern, illegale Haus- und Wohnungsbesetzungen, das Beschmieren öffentlicher Gebäude, Betrug älterer Leute sowie das Herstellen und Verkaufen jeglicher Art von Cannabis. Zudem sollen erstmals schwangere Frauen und Mütter mit unter dreijährigen Kindern inhaftiert werden können.

Meloni: Zum Schutz von Bürgern und Sicherheitskräften

Ein Kapitel für sich sind die verschärften Schutzmaßnahmen für Sicherheitskräfte. Wer sie angreift, muss künftig mit strengeren Strafen rechnen. Während des Dienstes dürfen sie nun Bodycams nutzen. Überdies wird es ihnen erlaubt, auch außer Dienst eine Waffe zu tragen. Und sollte es während des Dienstes zu einem Vorfall kommen, der vor Gericht landet, ist eine finanzielle Beihilfe von bis zu 10.000 Euro vorgesehen.

Gian Luigi Gatta ist Professor für Strafrecht an der Uni Mailand und Vorsitzender des Italienischen Verbands der Professoren für Strafrecht (Aipdp). Auf die Bemerkung, dass sich einige dieser neuen Maßnahmen ziemlich streng anhören und den Sicherheitskräften gleichzeitig mehr Spielraum gewähren, antwortet er ntv.de: "Die neuen Straftatbestände wurden zum Großteil vom Innenministerium festgelegt. Also der Chefbehörde der Polizei."

Premierministerin Giorgia Meloni zeigte sich sehr erfreut über die endgültige Verabschiedung des Gesetzes. In einem Posting schrieb sie, damit habe die Regierung einen wichtigen Schritt in Richtung "mehr Sicherheit für die Bürger, sowie für die Männer und Frauen in Uniform gemacht".

Elly Schlein, Vorsitzende der Demokratischen Partei, beschuldigte die Regierungskoalition wiederum: "Es geht hier nicht um mehr Sicherheit, sondern um mehr Repression." Die Opposition protestierte am Mittwoch mit einem Sit-in im Senat. Senatorinnen und Senatoren setzten sich auf den Boden und hoben Transparente in die Höhe. Darauf stand: "Verhaftet uns alle!"

Es ist aber nicht nur die Opposition, die die Gefahr einer schleichenden Unterdrückung sieht. Auch anerkannte Juristen haben kein gutes Gefühl. Aus diesem Grund hat der Verband Aipdp in den vergangenen Tagen landesweit in zehn Universitäten Seminare organisiert, um mit den Studenten über die neuen Verordnungen zu debattieren.

Schlein: Ein Rückfall in den faschistischen Codice Rocco

In Mailand lenkte ein Student die Debatte auf Aufstände und passiven Widerstand in den Haftvollzugsanstalten. Dem Gesetz zufolge gilt als strafrechtlich verfolgbar, wer eine Revolte organisiert, daran teilnimmt, oder auch nur passiven Widerstand leistet. "Gemeint ist damit, sich Anweisungen zu widersetzen, die die Sicherheit in der Anstalt garantieren", erklärt Gatta. Wobei die Wahrnehmung von Sicherheit in einem Kontext wie einer Haftanstalt manchmal ausgesprochen subjektiv sein kann. Wer gegen diese Normen verstößt, riskiert bis zu fünf Jahre mehr Haft.

Wobei diese Verschärfung die Situation in den italienischen Haftanstalten vollkommen ausblendet. Der Verband Antigone, der sich für die Rechte der Häftlinge einsetzt, hat sie vor ein paar Tagen in Zahlen gefasst. Derzeit sitzen 62.000 Menschen in italienischen Gefängnissen - bei 47.000 Plätzen. Die meisten Aufstände sind die Folge von unwürdigen Lebensbedingungen.

Oppositionspolitikerin Schlein warf der Regierung vor, mit diesem Gesetz Italiens Rechtswesen zurück in das Jahr 1930 zu katapultieren - damals galt das faschistische Strafrechtsgesetzbuch, der berüchtigte Codice Rocco.

Auch Professor Gatta bemüht diesen Vergleich. Ihm geht es aber vor allem um diese Norm. "Nicht einmal unter dem Faschismus musste eine schwangere Frau ins Gefängnis. Jetzt schon." Genauer gesagt, liegt es im Ermessen des Richters. Wie der Professor erklärt, zielt die Norm vor allem auf Roma-Frauen, die selten ins Gefängnis kommen würden, weil sie überdurchschnittlich oft schwanger seien. In Italien haben die Roma häufig mit Diskriminierung zu kämpfen und werden ausgegrenzt.

Die Regierungskoalition hebt hervor, dass die Schwangeren nicht in ein normales Gefängnis müssten, sondern in eine extra dafür vorgesehene Anstalt. Doch davon gibt es in ganz Italien nur eine Handvoll. Als besonders harte Maßnahme bezeichnet der Professor auch die Strafe für die Besetzung eines Hauses oder einer Wohnung. "Freilich darf die illegale Besetzung nicht geduldet werden", pflichtet Gatta bei, "aber es kann nicht sein, dass die Strafe hierfür genauso hoch ausfällt, wie die für einen Arbeitgeber, der den Tod von einem seiner Arbeiter verantworten muss. In beiden Fällen sind bis zu sieben Jahre Haft vorgesehen."

Roberto Cornelli, Professor für Kriminalistik an der Mailänder Universität, wies während des Seminars auf eine folgenreiche Veränderung hin. In der Nachkriegszeit ging es vor allem um die Sicherheit, Rechte zu haben und diese ausüben zu können. "Diese Sicherheit hat die westlichen Demokratien geprägt" hob der Professor hervor. In den 90er-Jahren sei es aber zur Wende gekommen. Immer mehr sei es um das Recht auf Sicherheit gegangen, oder wie es Cornelli treffend auf den Punkt bringt: "Um das Recht, keine Angst zu haben." Ein Verlangen, das im Gegenzug in Kauf nimmt, weniger Rechte zu haben. Was wiederum dem strafrechtlichen Populismus zugutekommt.