"Ich habe meinen Freunden gesagt: Es wird nichts passieren - ich lag falsch"

Die Regierung von US-Präsident Trump streicht Forschungsgelder, sie entlässt Sachbearbeiter, die den Universitäten finanzielle Mittel bewilligen, und setzt die Hochschulen politisch unter Druck. Ein deutscher Doktorand und eine US-Doktorandin zeigen, wie sich Trumps Politik auswirkt.

Am Laternenmast vor seinem Haus klebe ein Zettel mit Hinweisen für internationale Studierende wie ihn, sagt Vincent Heddesheimer: Was machen, wenn die Abschiebebehörde ICE vor der Tür steht? Wie sehen deren Autos aus? Der Politikwissenschaftler promoviert seit vier Jahren an der Elite-Universität Princeton. Im Gespräch mit ntv.de erzählt der 28-jährige Deutsche von einer Infoveranstaltung seines Instituts. Die Grenzbeamten am Flughafen "schauen genauer hin, wenn Princeton auf dem Visum steht", habe es da geheißen: "Macht keine Fehler, habt alle Dokumente dabei, schreibt euch wichtige Nummern auf einen Zettel, falls euch das Handy abgenommen wird." Es werde viel geredet auf dem Campus: für den Urlaub nach Hause fliegen oder nicht? Auswandern oder in den USA bleiben? "Eine gewisse Beunruhigung" sei zu spüren, sagt Heddesheimer.

Gerüchte machten die Runde, Ängste setzten sich fest, erzählt auch Coco Fitterman. Die US-Amerikanerin macht an der städtischen Universität New York ihren Doktor. Sie gesteht, sie habe diese Ängste lange nicht ernst genommen. Als Freunde aus dem Ausland sich vergangenes Jahr scheuten, Aufrufe für eine Waffenruhe in Gaza zu unterzeichnen, habe sie gedacht: Paranoia. "Ich habe ihnen gesagt, es wird nichts passieren", erinnert sich Fitterman. "Ich lag falsch." Anfang März wurde eines der Gesichter der Gaza-Proteste festgenommen: Der Columbia-Student Mahmoud Khalil sitzt seitdem in Abschiebehaft - trotz gültiger Aufenthaltserlaubnis.

Es sind Fälle wie dieser, mit denen die Trump-Regierung derzeit große Wirkung erzielt. Sie setzt Zeichen, über die gesprochen wird. Als Heimatschutzministerin Kristin Noem Ende Mai verkündete, Harvard dürfe keine ausländischen Studierenden mehr aufnehmen, lieferte sie die vorgesehene Lesart dieser Entscheidung gleich mit: Der Schritt sei "eine Warnung an alle Universitäten im ganzen Land". Die Warnschüsse treffen aber nicht alle Einrichtungen, nicht alle Menschen im Bildungssystem der USA gleichermaßen.

Eingefrorene Forschungsgelder, gekündigte Verträge

Trumps Regierung hat seit dem Amtsantritt des Präsidenten Forschungsgelder in Milliardenhöhe eingefroren, sie hat Verträge gekündigt und Universitäten gedroht, ihnen Steuervorteile zu entziehen sowie die Herausgabe sensibler Informationen gefordert. Für Studierende der Elite-Universität Harvard verhängte er einen vorerst ausgesetzten Einreisestopp. Trump verlangt von den Hochschulen, "unrechtmäßige Diskriminierung und ideologische Bevormundung" zu bekämpfen, gegen Antisemitismus und Gewalt vorzugehen. Trump nutzt als Druckmittel Gelder, die mit seinen Forderungen nichts zu tun haben. Er streicht Mittel für Krebsforschung, weil ihm die Universität, an der sie stattfindet, zu links ist.

Selbst Republikaner beanstanden einzelne Maßnahmen. Sein Vorhaben aber, die Universitäten in die Schranken zu weisen, genießt breitere Zustimmung: Die Universitäten gelten vielen als abgehoben, beherrscht von linker Ideologie. Die Campus-Proteste gegen den Krieg in Gaza waren in der Gesamtbevölkerung wesentlich umstrittener als unter den Studierenden. Wohl auch deshalb verweist Trumps Regierung immer wieder auf die propalästinensischen Demonstrationen, um ihre Angriffe auf die Bildungsinstitute zu begründen.

Dabei war die Protestbewegung schon am Boden, da war Trump noch nicht mal gewählt. Kongress und Geldgeber hatten Druck auf die Universitäten ausgeübt, die daraufhin Zeltlager räumen ließen - tausende Teilnehmer wurden festgenommen. Übrig sind nur noch Rumpftruppen.

Trumps Aktionen treffen nicht die Elite

Erst wurden die Proteste niedergeschlagen, dann Trump zum Präsidenten gewählt: Viele Studierende seien mittlerweile erschöpft und hoffnungslos, sagt Fitterman: "Sogar ich." Dennoch kommt sie an einem Dienstag Ende Mai ans Graduiertenkolleg der städtischen Universität New Yorks, zur Unterstützung. In einem schmucklosen Seminarraum malt eine Handvoll Menschen Transparente. "Freiheit für Palästina" steht da und "Völkermord hat keine zwei Seiten".

Fitterman betritt den Raum, grüßt links und rechts, kurzer Schnack, dann geht sie wieder. Die 27-Jährige will noch schnell in die Räume des Instituts für vergleichende Literaturwissenschaften. Ein Kollege verschickt dort gerade E-Mails an die Bachelor-Studierenden, die er unterrichtet: Noten für das vergangene Semester.

"Das muss ich auch noch machen", sagt Fitterman im Fahrstuhl abwärts. Alle bekämen die Bestnote, nur eine Studentin nicht. Die sei "super smart", habe aber immer wieder gefehlt. Sie musste ihre Großmutter pflegen. Auf dem Weg nach draußen, sagt Fitterman, viele ihrer Studierenden hätten es nicht leicht, schulterten neben dem Studium teils mehrere Jobs.

Vor den Kalksteinsäulen, auf den Treppen des Universitätsgebäudes, stehen rund 20 Menschen. Sie verkünden einen Hungerstreik, wollen nichts mehr essen, bis die Uni ihre finanziellen Verbindungen nach Israel kappt. Es sind Fittermans Freundinnen und Freunde. Es sind die Menschen, die Trump meinen dürfte, wenn er von "bezahlten Unruhestiftern" und "Terror-Sympathisanten" spricht. Proteste wie dieser würden in jedem anderen demokratischen Land der Welt sehr wahrscheinlich ignoriert, auf jeden Fall aber nicht von Regierungen als Begründung genutzt, Bildungseinrichtungen derart unter Druck zu setzen. In den USA passiert genau das. Gut eine Stunde dauert die Kundgebung, immer wieder beschimpfen Passanten die Protestierenden.

Trumps Politik lebt von dieser Stimmung, von der Abscheu vor den linken Studenten. Sie ist der Kraftstoff, der seine Angriffe auf die Hochschulen antreibt, seine Strafaktionen gegen das, was er als aufsässige Elite wahrnimmt. Trump trifft mit seinen Aktionen aber zuvorderst nicht die Elite, sondern das Fußvolk des Bildungssystems.

"Die meisten Europäer fliegen rüber"

Er halte sich als internationaler Student zurück, sagt Heddesheimer. Auch vor Trumps Amtsantritt habe er das schon getan, vor den Gaza-Protesten. Ein Beispiel: Heddesheimer trinkt kein Bier auf der Straße. Einfach, um nicht aufzufallen. Er fühle sich in Princeton sicher, sagt er. In seiner Blase. Princeton, gelegen im Bundesstaat New Jersey, ist eine Kleinstadt, 1746 gegründet, eine Ansammlung aus steinernen Gebäuden und Rasenflächen, überschaubar. Und wohlhabend: Keine andere Universität der Welt hat pro Kopf mehr Geld in der Hinterhand.

Princeton lebt von Milliarden an Stiftungsvermögen. Die Privatuni investiert das Geld, aus den Gewinnen stemmt sie ihre finanzielle Grundlast und hält so die öffentliche Hand ein Stück weit auf Distanz. So weit, dass Heddesheimer zwei zusätzliche Jahre dort arbeiten kann, obwohl auch Princeton Gelder gestrichen werden. Den Jahrgängen nach ihm könnte die zusätzliche Zeit versagt bleiben. Aber immerhin: Es wird diese Jahrgänge geben.

Was es aller Voraussicht bald nicht mehr gibt: Das öffentlich finanzierte Sprachenzentrum, an dem Fitterman arbeitet - neben ihrer Lehrtätigkeit und der Promotion. Das Zentrum soll den Hochschul-Unterricht für Minderheiten verbessern. Das Team dort forscht, entwickelt Materialien und schult Lehrkräfte - mit Fokus auf Fremdsprachen und benachteiligte Lernorte. Die Mittel für diese Arbeit laufen im August aus. Die zuständige Abteilung des Bildungsministeriums wurde schon im März aufgelöst. Auch wenn die Förderung offiziell noch nicht beendet ist, wer sollte eine Verlängerung bewilligen? "Das ist schrecklich für die Studierenden", sagt Fitterman. Besonders für Kinder aus Arbeiterfamilien sei der Weg zum Abschluss ohnehin schon steinig - ohne die Arbeit des Sprachenzentrums könnte er bald noch ein wenig steiniger werden, fürchtet sie.

Das öffentliche Bildungssystem finanziert sich vor allem durch Gelder des jeweiligen Bundesstaats sowie durch Bundesmittel. Fitterman und ihre Studierenden sind deshalb sehr viel direkter von politischen Entwicklungen betroffen als Heddesheimer und dessen Umfeld.

Der sagt, er habe großes Vertrauen in die Institution Princeton. Trotz der Ungewissheit will er im Sommer nach Deutschland, um dort zu forschen. Heddesheimer sagt: "Die meisten Europäer fliegen rüber." Wahrscheinlich kommen sie auch wieder zurück in die USA.