In seiner ersten Regierungserklärung verspricht Kanzler Merz Selbstverständlichkeiten. Da in diesen Zeiten aber nichts mehr selbstverständlich ist, könnte das mehr sein als es zunächst den Anschein hat.
Wer gelegentlich US-Präsident Donald Trump zuhört, konnte bei der Regierungserklärung von Kanzler Friedrich Merz das Kontrastprogramm erleben. Statt großkotziger Versprechungen nach dem Motto "alles für alle" trug der CDU-Chef das künftige Regierungsprogramm sachlich und nüchtern vor. Fast schon im Stile eines sauerländischen Mittelständlers, der zwar bieder wirkt, aber sich beim zweiten Blick als Hidden Champion entpuppt.
Was die Ansprüche seiner Regierung anging, stapelte Merz bewusst tief. Seine Regierung aus Union und SPD sei kein "ideologisches Großprojekt zur Veränderung unserer Gesellschaft", sagte Merz in Anspielung auf anfangs hochtrabende Töne der Ampelregierung. Nein, die Regierung wolle "einen guten Rahmen setzen für das Zusammenleben der Menschen in Deutschland." Die Bundesregierung habe auch nicht auf alle Fragen eine schnelle Antwort, sagte Merz. "Ich auch nicht. Mein Angebot an Sie alle ist: Lassen Sie uns gemeinsam nach Antworten suchen, um Lösungen ringen, manchmal auch streiten - aber lassen Sie es uns zusammen machen."
Geht's nicht auch eine Nummer größer für das größte Land in Europa, den zweitgrößten Unterstützer der Ukraine, die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und den viermaligen Fußball-Weltmeister? Ginge schon, aber Merz findet dennoch den richtigen Ton. Solche Sätze zeugen von Demut vor der Aufgabe. Und die ist angebracht. Nicht nur weil der Bundeskanzler bei den eigenen Anhängern nach dem radikalen Kurswechsel in Sachen Schuldenaufnahme neues Vertrauen aufbauen muss.
Um Deutschland herum und auch im Innern wachsen die Probleme in den Himmel. Die Zeiten ändern sich, fast jeden Tag schneller. Nichts scheint mehr selbstverständlich. Da ist es gut, wenn eine Regierung zumindest versucht, vermeintliche Selbstverständlichkeiten hochzuhalten. Sie will Probleme lösen. Sie will gut regieren. Ganz sachlich.
Was ist gute Politik?
Das ist im Prinzip der richtige Ansatz. Aber er ist auch sehr schwammig. "Gut regieren", das klingt nach stolzem Handwerk, nach solider Wertarbeit. Wenn damit gemeint ist, sich nicht auf öffentlicher Bühne zu zerfleischen und verfassungsgemäße Gesetze zu schreiben, die Bestand haben - dann ist das wünschenswert. Aber auch nicht mehr als eine Mindestanforderung an gutes Regieren.
Aber was bedeutet "Gutes Regieren" darüber hinaus? Diese Frage ist nicht klein, im Gegenteil. Sie ist vielmehr der Kern der Politik. Jede Partei gibt auf diese Frage andere Antworten, es geht um Grundüberzeugungen, um Richtungsentscheidungen. Keineswegs ist es so, dass sich alle einig darüber sind, was gut für das Land ist.
Immerhin, die neue Koalition weiß, wo sie hinwill. Die Ziele sind relativ eindeutig. Wächst die Wirtschaft? Sinkt die irreguläre Zuwanderung? Gehen mehr Bürgergeldempfänger in Arbeit? Steigen die Löhne? Sinken die Mieten? Bleibt die Inflation stabil? Wird wirklich Bürokratie abgebaut? Hat die Bundeswehr Munition für mehr als ein paar Tage? Rettet sich die Ukraine? Sinkt die Zustimmung zur AfD?
Union und SPD hoffen gemeinsam darauf, in vier Jahren alle diese Fragen mit Ja zu beantworten. Gelingt ihnen das, haben sie gut regiert. Das ist ein gemeinsames Projekt, das es bei der Ampel so nicht gab. Da wollten FDP und Rot-Grün jeweils andere Dinge. Das ist jetzt anders und das ist ein, man glaubt es kaum bei dieser Regierung, Startvorteil.
Konflikte sind okay
Ein Schutz vor Streit ist das aber nicht. Auch wenn es immer heißt CDU/CSU und SPD seien die Mitte - sie wollen nicht das Gleiche. Beim Mindestlohn, bei der Rente haben sich schon Widersprüche gezeigt. Die Abwesenheit von Streit ist ohnehin noch kein Ausweis für gute Politik. Es könnte auch bedeuten, dass man den wirklich wichtigen Themen aus dem Weg geht. So wie es Union und SPD bei den Großbaustellen Pflege und Rente getan haben. Da wird nicht gestritten, weil diese Fragen in Kommissionen ausgelagert wurden. Da wird lange erstmal gar nichts passieren. Das ist das Gegenteil von beherztem Loslegen. Dann doch lieber ein bisschen Reibung.
Konflikte sind okay, wo gehobelt wird, fallen Späne. Die Frage ist nur, wie Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil damit umgehen. Sie müssen es schaffen, interne Risse zu kitten und das große Ganze im Blick zu behalten. Dann regieren sie gut, dann kann diese Regierung gelingen. Schafft es Schwarz-Rot, das Bündnis zu werden, das es werden will - eine Arbeitskoalition, die Probleme löst -, wäre viel gewonnen. Es ist halt nicht die Zeit für die großen Visionen. Eher dafür, das gemeinsame Haus wetterfest zu machen, jetzt aber wirklich.